INTERVIEW
: „Nicht die Rechten sind das Problem. Das Problem ist der Rechtsruck der anderen.“

■ Interview mit dem scheidenden Abgeordneten der Grünen Fraktion im italienischen Parlament, Sergio Andreis

Andreis, 40, gehörte in Italien zu den Grünen der ersten Stunde, saß wegen Wehrdienstverweigerung ein Jahr in Haft, war seit 1987 im Parlament der außenpolitische Sprecher der Grünen Fraktion und einer der wenigen, die in Italien von Anfang an zugleich Friedens- und Umweltpolitik betrieben. Bei den Wahlen 1992 kandidierte er nicht mehr und bereitet sich derzeit auf eine Aufgabe in internationalen Organisationen vor.

taz: Dem Ausland gelten Italiens „Ligen“ ungefähr als das, was die „Republikaner“ in Deutschland, Le Pens FN in Frankreich und Haiders Liberale in Österreich darstellen — obwohl es in Italien doch auch eine traditionelle Rechte gibt, den Movimento sociale, der seine sechs Prozent diesmal gut gehalten hat. Paßt das alles zusammen?

Andreis: Ja und nein. Die „Ligen“ sind etwas anderes als all die genannten Parteien im Ausland, wie auch diese untereinander verschieden sind, und wie sie sich wieder von nationalistischen Gruppen etwa im Baltikum oder im ehemaligen Ostblock unterscheiden. Gemeinsam aber ist allen eines: sie haben eine sehr starke Basis im Protest der Bürger.

Der möglicherweise wieder vorbeigeht, wenn der unmittelbare Anlaß vorüber ist? Nur Strohfeuer?

Unter bestimmten Gesichtspunkten sicher; politisch, also von der Aussage her, ist ein Teil des Erfolges sicher Strohfeuer, eine Reihe der heute so erfolgreichen Parteien werden wohl bald wieder von den alten Großgruppen absorbiert oder verlieren ihre anfängliche Attraktivität. Doch Bürgerprotest erklärt ja nur einen Teil des Erfolges rechter oder quasi-rechter Gruppen, und genau das macht die Sache um keinen Deut ungefährlicher. Die große Gefahr, die daraus entsteht, sind nämlich die allgemeinen Verwerfungen, die sich aus diesen Strohfeuern ergeben: eine allgemeine Verschiebung nach rechts. Viele Menschen, die selbst kaum Liga oder Republikaner oder FN wählen würden, werden sozusagen subkutan angesteckt. Und die Gefahr wird natürlich umso größer, je zuverlässiger jene Ereignisse eintreten, die heute schon voraussehbar sind, und die dann viel härtere Reaktionen jener auslösen, die schon angesteckt sind. Also etwa noch massivere Zuwanderung aus dem Ausland, größere wirtschaftliche Probleme, weiter steigende Kriminalität etc.

Das Anwachsen rassistischer, fremdenfeindlicher und partikularistischer Gruppen hat bereits heute seine Entsprechung in der allgemeinen Disposition für autoritäre Lösungen auch in der sogenannten Mitte, dem liberalen und sogar teilweise linken Bürgertum. Und das ist nicht nur sozusagen innergesellschaftlich besorgniserregend, sondern auch auf dem Felde internationaler Beziehungen. Die Auseinandersetzung mittels Gewalteinsatz wird dem Volk so viel leichter zu verkaufen sein, als wenn der Großteil davon eben nicht von diesen Vorstellungen angesteckt ist.

Wie konkret ist die Gefahr heute schon, daß sich, um bei der medizinischen Terminologie zu bleiben, derartige Entzündungen zu Brandherden ausweiten?

Bislang sind es vor allem Symptome, Signale, die man auf diese Weise ausmachen kann. Aber der Kreis erweitert sich schon irgendwie immer mehr, vor allem, weil man diese Signale ja auf immer mehr Sektoren erkennt, nicht nur in der Einwanderungsfrage und dem Fremdenhaß. Ein besonderes Beispiel ist da die immer aggressivere Wirtschaftspolitik und die Tendenz zur Ausdehnung der Konzerne mithilfe sogenannter feindlicher Übernahmen, also nicht mehr durch Verhandlungen. Diese neue, in Europa bisher kaum gebrauchte Form ökonomischer Expansion wurde sicher nicht zufällig zuerst durch norditalienische Konzerne erprobt, genau aus jenen Gebieten, die auch das besondere Anwachsen der „Ligen“ zu verzeichnen haben. Derlei neue Grundhaltung, wenn sie sich in immer mehr gesellschaftliche Gebiete einfrißt, kann nun natürlich auch auf anderen Gebieten sehr leicht autoritäre Lösungen nach sich ziehen, wenn man mit moderaten Mitteln nicht weiterkommt. Für all das bereiten die genannten Gruppen, vor allem aber die Parteien, die dann auf sie eingehen, nolens volens den Boden. Das Gespräch führte Werner Raith