Gemischtes Doppel am Griebnitzsee

■ Am Karfreitag um 21.05 Uhr startet auf SFB1 eine neue Familien-Radioserie, die im Berliner Umland spielt

Fontane über die Schulter geguckt haben die Hörspielleute beim SFB, als sie sechs Autoren — drei Ost und drei West — beauftragten, zusammen eine Serie zu schreiben, die das ach so schöne Phänomen der Familienzusammenführung nach dem Fall der Mauer aufs Korn nimmt. Da kommt in einer Villa am Griebnitzsee und unter der Fuchtel eines kauzig-sympathischen alten Herrn zusammen, was zusammengehört — oder auch, was sich dagegen sträubt. Auf billige Effekte soll verzichtet werden — so versprechen es die Macher, unter denen, jedenfalls im Moment, die Ostler dominieren. Mit dem Dramaturgen Lutz Volke und dem Regisseur Peter Groeger — beide kommen aus dem Funkhaus in der Nalepastraße — unterhielt sich Christian Deutschmann.

Schon der Schauplatz Ihrer Serie „Sonntagsgäste“ scheint mir den Ostlern unter Ihren Autoren einen Heimvorteil zu geben. Ich habe überhaupt den Eindruck, daß bei dieser Serie das Schwergewicht auf der Ostseite liegt. Für einen Westsender ungewöhnlich.

Lutz Volke: Es hat sich irgendwie so ergeben. Es sind die Ostautoren, die die ersten Manuskripte vorgelegt haben. Bei den Westautoren lief das etwas zögerlicher an. Das kann natürlich damit zusammenhängen, daß die Ostautoren in diesem Genre mehr Erfahrung haben, und daß in der DDR das Geschichtenerzählen — auch im Hörspiel — mehr Tradition hat. Das ist für diese Serie ein Vorteil. Es hängt auch damit zusammen, daß sich ein Ostautor, Helmut H. Schulz, besonders hineingekniet hat, schon weil er sich die Leitfigur der Serie und überhaupt die Vertreter der älteren Generation vorgenommen hat. Er hat sich am intensivsten mit dem Komplex der zwanziger, dreißiger Jahre in Berlin beschäftigt, der Zeit, in der die Hauptfigur, der alte Artur Sebaldus Hernstadt, groß geworden ist.

Sie haben sich also bewußt für eine traditionelle Richtung entschieden?

Es ist sehr schwer, für eine Serie, die ständig fortgeführt werden soll, ganz neue Muster zu finden. Wir haben uns gesagt, daß das gegenseitige Geschichtenerzählen — was die Leute in unserer Serie tun, die sich in den letzten Jahrzehnten gar nicht oder kaum gesehen haben und sich nun zum ersten Mal wiedersehen — eine geeignete Methode ist. Daraus ist die Form der Serie entstanden. Und das hat auch mit dem zu tun, was wir wollen: ein bißchen Hilfe vermitteln bei dem notwendigen Zusammenwachsen — vor allem in Berlin.

Die Villa am Griebnitzsee: An den Klang müssen sich Westohren erst einmal gewöhnen. Für unsereinen war „Griebnitzsee“ bisher nur so eine Bahnstation, wo die Grenzer ein- und ausstiegen.

Wir wollten das nicht so genau festlegen. Wir sagen mal: Griebnitzsee, denn da gibt es Leute, die das ziemlich genau kennen. Jochen Hauser, einer unserer Autoren, hat da zwar nicht gewohnt, aber studiert. Da gibt es also eine Lokalkenntnis. Dann haben da berühmte Leute gewohnt, wie etwa der General Schleicher, der von den Nazis erschossen worden ist. Alle diese Wasserlandschaften bei Potsdam sind überhaupt sehr geschichtsträchtig. Das paßt zu dieser Serie, bei der Vieles nach rückwärts erzählt wird.

Peter Groeger, Sie haben die ersten neun Folgen inszeniert. Mit Familienserien verbinden wir Vorstellungen wie nett, idyllisch. Ist das auch bei den „Sonntagsgästen“ so?

Peter Groeger: Es wird sich höchstwahrscheinlich nicht vermeiden lassen, daß unsere Sendung als Familienserie bezeichnet wird. Ich selber denke nicht daran beim Inszenieren. Denn hier wird ja ein sehr aktuelles Thema behandelt: Häuser, Besitz. Hier bekommt ein Mann sein Haus zurück, der immer in der DDR gelebt hat. Und er benutzt den Anlaß, die Beziehungen mit seiner Familie wiederherzustellen. Das, denke ich, ist der Reiz, und da liegen auch die Konflikte. Es geht um die Beziehungen der Leute in den letzten vierzig Jahren: Manche haben sich auseinandergelebt, mit manchen hat unser Held eine gute Beziehung behalten. Das Haus ist insofern eine Metapher.

Ich nehme an, auch Sie denken bei dieser Serie häufig an Fontane. Geschichten und Sprechweise der Leute erinnern an ihn. Entspricht das der heutigen Zeit?

Ja. Bleiben wir bei dem Alten. Es ist ja einigen älteren Herren gelungen, nach dieser Wende ihre traditionsreichen Unternehmen wiederzubekommen. Es gab in Berlin Firmennamen, die etwas Patriarchisches hatten. Es gibt sehr wenige solcher Figuren, aber es gibt sie. Und da sehe ich eine Analogie zur unmittelbaren Gegenwart.

Der Held der Serie, Artur Hernstadt, macht einen geistvoll gebildeten Eindruck: schöne, gepflegte Dialoge. Doch er ist Unternehmer. Stimmt das denn zusammen?

Ich denke, man muß die letzten dreißig oder vielleicht fünfundzwanzig ein bißchen toten Jahre berücksichtigen, die er überlebt hat. Eine Grundbildung war ja angelegt: humanistisches Gymnasium, Abitur. Auch wenn das verschüttet war, er vierzig Jahre in der DDR gelebt hat und als Außenseiter, als Kleinkapitalist bezeichnet wurde, denke ich, daß so ein Mann sich die lange Zeit zurückzieht auf einen privaten Sektor, existentielle Fragen ein bißchen philosophisch angeht, in den Klassikern sucht. Und dann ist es eine Frage der Generation: Hernstadt ist in unserer Serie ja achtzig Jahre alt, da gehört es dazu, seine Lebensphilosophie in Zitaten auszudrücken. Und ich denke: Vielleicht kann gar keiner Unternehmer sein wollen, wenn er nicht auch ethische Dimensionen bedenkt.

Mir scheint, daß auch das thematische Schwergewicht in den einzelnen Folgen auf dem Osten liegt. Da gibt es so eine Richtung wie etwa: Man muß sich das einmal vorstellen, wie die Leute drüben gelebt haben! Ist das Ganze also eine Serie vor allem für den Hörer im Westen?

Das wird sich im Laufe der Zeit ausgleichen. Da gibt es ja den Sohn von Artur Hernstadt, Oskar, der in Westberlin lebt. Der alte Hernstadt rechnet auf ihn, weil er denkt, der hat Geld, und der möchte, daß diese Westfamilie in sein Haus einzieht. Da liegt noch ein großer Konflikt, und das ist bisher erst angedeutet. Also, die Westler spielen schon noch eine wichtige Rolle. Wenn man das bisher so empfindet, daß es vielleicht mehr um die Befindlichkeiten der Familienmitglieder geht, die im Osten gelebt haben: Das wird sich alles noch verschieben.

Daß sich ein Ostautor also in die Westproblematik einarbeitet?

Ich habe bisher ja nur die ersten neun Folgen produziert. Da ist das nicht drin. Aber das kann ja in der 132.Folge noch kommen.