Der redliche Gauck

■ Ein furchtbares Handwerk mit den Akten

Der redliche Gauck Ein furchtbares Handwerk mit den Akten

Hundert Tage Akteneinsicht in der Gauck-Behörde. Was haben sie gebracht? Viel und wenig. Viel Schmerz, menschliches Leid, Betroffenheit über Treulosigkeit und Verrat, aber auch Erstaunen bei so manchem, daß er für die Männer mit den schrecklichen Ohren uninteressant war. Viel Aufsehen und viel Moral. Immer dann, wenn es um große Namen geht. Stolpe. Er wollte Zeichen setzen mit Offenheit und wurde zum Gezeichneten. Ihm gegenüber die von keinen Zweifeln geplagte Selbstgerechtigkeit. Bärbel Bohley. Nun in neuer Allianz. Mit einem Amte gar soll sie für ihren Einsatz von der CDU belehnt werden. Manfred Stolpe hat sie aus der Hölle geholt, in der sie immerhin vierzehn Tage saß. Dafür soll Stolpe nun hinein. Weil er ihr gemeinsam mit dem unerschrockenen, anglikanischen Pastor Paul Oestreicher nach London verholfen hatte.

Der Fall des Probstes Heinrich Krüber, Retter vieler Juden, eine andere Parallele. Warum, so die listige Frage Eichmanns beim Prozeß, ihn jener Kirchenmann damals im Reichssicherheitshauptamt nicht auf das Verwerfliche seines Tuns hingewiesen habe? Gelassen der Probst: Weil er seine Pappenheimer kannte und kooperieren mußte im Interesse all der anderen Gehetzten. Wenn zahllose Naziakten nicht vernichtet worden wären, welche Namen würden wir heute wohl verehren? Bonhoeffer? Paul Schneider? Karl Gördeler? Die Männer des militärischen Widerstandes? Sie waren auch nur Menschen und hatten sämtlich ihre Schwächen, Stunden, in denen sie kooperierten. Gezwungen, taktisch, mitunter freiwillig. Das macht sie niemals kleiner. Vera Wollenberger, ihr sprachloses Entsetzen über die Enttarnung des Ehemannes. Und die so verständliche Klage der Bürgerrechtlerin über die Behandlung durch die Medien. Wenigstens den Kindern hätte dieses erspart werden müssen. Nicht auch den Kindern der anderen enttarnten Stasi-Leute?

Ein furchtbares Handwerk mit den Akten. Und niemals darum zu beneiden der redliche Gauck. Die Zerrissenheit der Menschen nimmt zu. Ihr Interesse an Staatssicherheit dagegen ab. Die eigene ist sehr viel wichtiger, die Sorgen sind heutzutage so ganz und gar anderer Art. Noch niemals hat der Versuch etwas getaugt, die ganze Wahrheit, die totale Sauberkeit, die absolute Sicherheit herzustellen. Am Ende standen immer Inquisition, Nazismus, Stalinismus, Lüge und Mord. Wird diesmal am Ende wirklich das Wunder vom wahrhaftigen, gewandelten, weil völlig öffentlich gemachten Menschen stehen? Zweifel? Viel mehr als Hoffnung. Henning Pawel