: Havel will nochmals Präsident werden
Prag (taz) — Fast eine Stunde hatte Vaclav Havel gestern Vormittag bereits zu den nahezu vollzählig versammelten Abgeordneten der tschechoslowakischen Föderalversammlung gesprochen, als schließlich die richtungsweisenden Worte fielen: Der Dramatiker erklärte sich zu einer erneuten Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten bereit. Obwohl ihm die Entscheidung „schwerer als vor zwei Jahren“ gefallen sei, könne er die einmal übernommene Verantwortung für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft nicht vorzeitig abgeben.
Auf diese „erlösenden Worte“ hatte die tschechoslowakische Öffentlichkeit bereits seit mehreren Monaten gewartet. Immer wieder hatte der Präsident eine „positive“ Entscheidung von der politischen Situation abhängig gemacht, immer wieder hatte er mehr oder weniger deutlich Garantien für den Erhalt des gemeinsamen Staates der Tschechen und Slowaken gefordert. Nur wenn auch die größten nationalistischen Parteien der Slowakei bereit seien, seine Kandidatur zu unterstützen, würde er für eine neue Amtszeit zur Verfügung stehen.
Doch der Versuch, sein persönliches Schicksal mit dem der tschechoslowakischen Föderation zu verbinden, war nicht von Erfolg gekrönt. Die erwarteten Zusagen trafen nicht ein. Angesichts der Polarisierung der politischen Kräfte des Landes scheint die Bildung einer handlungsfähigen Föderalregierung nach den Parlamentswahlen im kommenden Juni bereits heute nahezu unmöglich. Die Gründe, die Havel dennoch zu einer erneuten Kandidatur führten, machte der Präsident in seiner Rede vor den Abgeordenten, in der er eine überraschend positive Bilanz der zweijährigen Legislaturperiode zog, deutlich. Auch wenn das Parlament seine ursprüngliche Aufgabe, eine neue Verfassung zu verabschieden, nicht erfüllt habe, sei es bei der Diskussion über den zukünftigen Staatsaufbau doch entscheidende Schritte vorangekommen. Deutlich geworden sei — so Havel mit vorsichtiger Kritik an der tschechischen Seite — daß man die verständlichen nationalen Wünsche der Slowaken unterschätzt habe. Mit großer Entschiedenheit sprach sich der Präsident daher auch für die in erster Linie von den Slowaken geforderte Föderation „von unten“ aus. Diese müße durch einen zwischen den beiden Teilrepubliken abgeschlossenen Vertrag besiegelt werden.
Ihr „Fett“ bekamen jedoch auch die slowakischen Nationalisten ab. Im Gegensatz zu ständig wiederholten Behauptungen habe der „Pragozentrismus“ nicht zugenommen, mit einer Vielzahl von Gesetzen habe die Föderalversammlung Kompetenzen auf die beiden Teilrepubliken übertragen. Unmöglich sei es, gleichzeitig einen „gemeinsamen Staat“ und „Selbständigkeit“ zu fordern, jede Seite müsse endlich klar sagen, wie sie sich die Zukunft vorstelle. Havel kurz, knapp und beschwörend: „Nebel haben wir genug gehabt!“ Sabine Herre
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