: Schon über den Wolken Recht auf Asyl
Bundesverwaltungsrichter halten Beförderungsverbot für Asylbewerber ohne gültige Papiere für verfassungswidrig ■ Aus Berlin Jeannette Goddar
Die Bundesregierung darf Fluggesellschaften nicht untersagen, Asylbewerber ohne Aufenthaltserlaubnis in die Bundesrepublik zu befördern. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Berlin erachtete gestern in einem Urteil die entsprechende Regelung im Ausländergesetz als verfassungswidrig und rief zur endgültigen Klärung das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe an.
Hintergrund des Urteils ist die Klage der Fluggesellschaften Air France und Air India gegen die Bundesrepublik. Den beiden Fluggesellschaften war 1987 vom Bundesinnenminister untersagt worden, weiterhin Passagiere ohne gültige Papiere nach Deutschland zu befördern. Weil sie mehrfach indische, srilankische und iranische Asylbewerber ohne Aufenthaltserlaubnis ins Land gebracht hatten, wurde ihnen eine erhebliche Geldstrafe auferlegt. Mit dem Anruf des Obersten Gerichts in Karlsruhe setzte das BVerwG das Verfahren vorerst aus.
Im alten Ausländergesetz, das bis zum 1. Januar 1991 galt, war eine Klausel verankert, nach der die Bundesregierung Beförderungsunternehmen den Transport von Ausländern ohne Aufenthaltserlaubnis in dem Geltungsbereich des Grundgesetzes untersagen konnte. Auch im neuen Ausländergesetz findet sich eine vergleichbare Bestimmung. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts verstößt das Beförderungsverbot gegen das in Artikel 16 des Grundgesetzes verankerte Grundrecht auf Asyl.
Das Recht auf Asyl verbiete, daß die für die Asylgewährung erforderliche Einreise durch gezielte staatliche Beförderungskontrollen unterlaufen werde, führte der erste Senat aus. Die Einreise sei eine Voraussetzung, um dessen Wirksamkeit zu gewährleisten. Auch „möglicherweise Verfolgte“ erhielten schließlich in der Bundesrepublik ein vorläufiges Bleiberecht, bis ihr Asylbegehren geprüft sei, so die Urteilsbegründung. Deshalb könnten Asylbewerber nicht bereits in einem Drittland ohne weitere Prüfung zurückgewiesen werden. Politisch Verfolgte hätten oft nicht die Zeit, auf ein entsprechendes Sichtvermerk der deutschen Botschaften zu warten, so das Urteil. In vielen Fällen sei nicht einmal eine deutsche Auslandsvertetung in der Nähe. „Auch die Sorge vor einer massenhaften Inanspruchnahme kann keine Einreisebeschränkungen rechtfertigen, die ein mögliches Recht auf Asyl erschweren oder unmöglich machen würden.“
Sollten sich die Karlsruher Richter dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts anschließen, wird vermutlich auch die entsprechende Bestimmung im neuen Ausländergesetz außer Kraft gesetzt. Bis dahin wird sich allerdings an dem Beförderungsverbot nichts ändern.
In ihrer Klagebegründung hatten die Fluggesellschaften das ihnen auferlegte Beförderungsverbot als „Zumutung“ bezeichnet. Mit dieser Bestimmung würden sie gezwungen, an der „Aushöhlung des Asylrechts“ mitzuwirken. Auf ausländischen Flughäfen sollten sie das tun, was deutschen Behörden versagt wäre, die einen Flüchtling nicht ohne Prüfung abschieben dürfen. Im Gegenzug berief sich der Rechtsanwalt der Bundesrepublik auf den Geltungsbereich des Grundgesetzes. Das Asylrecht wachse einem erst zu, „wenn man das rettende Ufer erreicht hat“. Für die Fluggesellschaften stehen auch Einnahmen auf dem Spiel. Etwa jeder fünfte aller Asylbewerber reist mit dem Flugzeug ein — 1991 etwa 50.000 Passagiere.
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