EG verdonnert Daimler zu Nachzahlung

Konzern erklärt sich unter Protest bereit, für Grundstück in Berlin fast 34 Millionen Mark nachzuzahlen  ■ Von Hans-Martin Tillack

Berlin (taz) — Der Berliner Senat ist blamiert, aber er wird auch um einige Millionen Mark reicher. Gestern entschied die EG-Kommission in Brüssel, daß der Stuttgarter Daimler-Benz-Konzern für ein Grundstück am Potsdamer Platz im Herzen der Hauptstadt 33,8 Millionen Mark an den Senat nachzahlen muß. Mit dieser Ohrfeige für die Vertragspartner in Stuttgart und Berlin zog die Kommission den Schlußstrich unter ein Prüfungsverfahren, das sie Ende Februar 1991 eröffnet hatte.

Der Senat hatte das 61.710 Quadratmeter große Areal im Sommer 1990 für 92,9 Millionen Mark an Daimler-Benz verkauft. Der Konzern, der am Potsdamer Platz ein gigantisches Dienstleistungszentrum errichten will, war damit in den Genuß eines Quadratmeterpreises von 1.505 Mark gekommen. Branchenkenner sahen dies schon damals als „Dumpingpreis“ an. Die Alternative Liste hatte wegen des umstrittenen Grundstücksgeschäfts seinerzeit sogar einen Bruch der rot-grünen Koalition erwogen, die bis 1990 Berlin regierte.

Mit der von der EG verlangten Nachzahlung erhöht sich der Quadratmeterpreis nun auf etwa 2.050 Mark. Der ursprüngliche Grundstückspreis, so der für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissar Leon Brittan, sei eine unerlaubte staatliche Beihilfe gewesen. Brittan verwies auf ein Zweitgutachten, das ein unabhängiger Gutachterausschuß im vergangenen Sommer auf Bitten der EG vorgelegt hatte. Der von den Gutachtern ermittelte Wert lag mit 179,7 Millionen Mark um 86,8 Millionen über dem Kaufpreis.

Daß die Nachzahlungssumme nun vergleichsweise bescheiden ausfällt, begründete Brittan mit zwei mildernden Umständen. Als der Kaufpreis im Frühjahr 1990 festgelegt wurde, sei der in Mauernähe gelegene Potsdamer Platz nur schlecht in die Stadt integriert gewesen, die Entscheidung für die Wiedervereinigung habe noch ausgestanden. Außerdem seien Daimler-Benz bei der Abrundung seines Areals weitere Kosten in Höhe von 53 Millionen Mark entstanden. Brittan verwies auf das sogenannte Bellevue-Grundstück, das der Konzern für etwa 66 Millionen Mark von Privat erwerben mußte und das mit dem Abriß eines alten Hochhauses erst baureif gemacht werden muß.

Senat und Daimler-Benz reagierten gestern zurückhaltend. Der Senat beließ es dabei, die Entscheidung zu „bedauern“. Der Konzern, der bis zuletzt offiziell nicht ausgeschlossen hatte, sein Vorhaben im Fall einer Nachzahlung zu stornieren, wollte davon nichts mehr wissen. Das Unternehmen kritisierte zwar die EG- Entscheidung als „völlig ungerechtfertigt“, erklärte sich aber „unter Protest“ bereit, die Nachzahlung zu leisten. Es sei zwar denkbar, daß der Konzern vor dem Europäischen Gerichtshof Klage erhebe. Dies geschehe jedoch nur, wenn dadurch „der Projektfortschritt“ nicht gefährdet werde, sagte ein Konzernsprecher.

Der Senat ist mit dem Beschluß von gestern noch nicht aus dem Schneider. Eine weitere Transaktion am Potsdamer Platz, bei der der japanische Sony-Konzern im letzten Jahr für einen Quadratmeterpreis von 3.240 Mark ein 30.000 Quadratmeter großes Grundstück vom Senat erwerben konnte, ist ebenfalls Gegenstand eines EG-Prüfverfahrens. In gleicher Weise ermittelt die Brüsseler Behörde in einem etwas anders gelagerten Fall: Die Investitionszulage in Höhe von zwölf Prozent, die die Bundesregierung Berliner Unternehmen bis heute zugestehen will, ist aus Brüsseler Sicht nicht mehr zeitgemäß. Die „ökonomische Rechtfertigung“ für eine weitere Subventionierung der Westberliner Wirtschaft, so gestern Leon Brittan, habe „aufgehört zu existieren“.