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Zum Tag der Arbeit wird gestreikt

Nach dem Scheitern der Verhandlungen im öffentlichen Dienst ist der Arbeitskampf unausweichlich/ Urabstimmung nach Ostern/ Arbeitgeber drohen, ihr Angebot einseitig in Kraft zu setzen  ■ Von Martin Kempe

Berlin (taz) — Rechtzeitig zum Tag der Arbeit am 1. Mai wird gestreikt. Noch am 27. April soll der Arbeitskampf im öffentlichen Dienst Westdeutschlands beginnen, nachdem Montag nacht in Stuttgart die letzte Verhandlungsrunde im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes Westdeutschlands gescheitert ist. Seither laufen bei den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes die Vorbereitungen auf Hochtouren. Die Gewerkschaften Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft haben die Urabstimmung für die Zeit unmittelbar nach Ostern angesetzt. Zu Beginn der letzten April-Woche können die Aktionen losgehen.

Die ÖTV machte gestern noch keine Angaben, in welchen Bereichen und in welcher Dimension der Arbeitskonflikt ausgetragen werden soll.

Bei den Verhandlungen in Stuttgart stand der Schlichterspruch zur Debatte, der in der letzten Woche im fränkischen Pegnitz ausgehandelt worden war. Dieser mit Mehrheit gegen die Stimmen der Arbeitgebervertreter zustande gekommene Kompromißvorschlag sah 5,4 Prozent Lohnerhöhung, eine Pauschale von 500 Mark, ein um 100 Mark höheres Urlaubsgeld und eine Anhebung der Ausbildungsvergütung von 150 Mark vor. Die Gewerkschaften hatten den Schlichterspruch anerkannt.

Die öffentlichen Arbeitgeber mit Innenminister Seiters an der Spitze legten dagegen am Montag ein neues Angebot vor. Dieses ist auf ein Gesamtvolumen von 4,8 Prozent beziffert und liegt damit noch unter der Pegnitzer Empfehlung des von den Arbeitgebern benannten Schlichters Friedrich Zimmermann. Seiters kündigte an, eine Lohn- und Gehaltserhöhung in Höhe seines Angebots einseitig in Kraft zu setzen.

Mit dem Scheitern der Verhandlungen am Montag steht die Bundesrepublik erstmals seit 18 Jahren wieder vor einem Arbeitskampf im öffentlichen Dienst. Zuletzt hatte es 1974 einen nur dreitägigen Streik der Müllarbeiter und Busfahrer gegeben, der wesentlich zur Demontage der Kanzlerschaft Willy Brandts beitrug. Damals setzten die Gewerkschaften einen Abschluß von immerhin 11 Prozent durch — eine Höhe, die in der politischen Öffentlichkeit als Niederlage der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung gegenüber dem gewerkschaftlichen Druck interpretiert wurde.

Ob die Auseinandersetzung auch in diesem Jahr in drei Tagen ausgestanden ist, wird von Beobachtern bezweifelt. Verhandlungsführer Seiters erklärte Montag nacht, die Arbeitgeber hätten von Anfang an erklärt, die Empfehlung der Schlichtungskommission sei „nicht akzeptabel“. Die Gewerkschaften dagegen hätten sich geweigert, über eine andere Lösung als die Schlichtungsempfehlung zu verhandeln. Das Angebot der Arbeitgeber, so Seiters, liege noch über der erwarteten Preissteigerungsrate von 3,75 Prozent, die die fünf Wirtschaftsweisen als Höchstgrenze für Lohn- und Gehaltssteigerungen ausgewiesen hatten. Die öffentlichen Arbeitgeber, so Seiters, müßten Rücksicht auf die Stabilität der D-Mark nehmen.

Die ÖTV-Vorsitzende Wulf-Mathies dagegen erklärte, die Haltung der Arbeitgeber komme einer „Aufforderung zum Streik“ gleich. Das Angebot orientiere sich an den Vorgaben von Wirtschaftsminister Möllemann, der eine Vier vor dem Komma gefordert hatte. Man werde sich nicht einer „Vogel-friß-oder- stirb-Politik“ beugen. Der Vorsitzende des Beamtenbundes, Werner Hagedorn, äußerte noch am Montag Verständnis für mögliche Streiks im öffentlichen Dienst. Falls es zu einem Streik kommen sollte, stünden Beamte nicht als Streikbrecher zur Verfügung.

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