Marlene Dietrich verstaubt auf ihrem Faß

■ Die Ungewißheit über die Zukunft der Babelsberger Filmstudios schlägt auf die Stimmung der DEFA-Mitarbeiter

Babelsberg. »Und Kuß und Kuuuß und Aus!« brüllt der Regisseur. Der Baron und das Fräulein fallen ins rotsamtene Himmelbett des venezianischen Hauses. Wie es mit den beiden im Bett weitergeht, erfahren die Zuschauer allerdings nicht mehr. Denn jetzt verfärbt sich die Kulisse Venedigs drohend grün, der dicke, eifersüchtige Graf erscheint und fordert den Baron zum Fechtduell.

Routiniert und wenig lebensmüde schwingen sie den Degen. Ziemlich schnell läßt der Graf sich und seine Waffe fallen. Das Publikum, dem in Halle 69 wirklichkeitsnahe DEFA- Dreharbeiten gezeigt werden sollen, klatscht verhalten. So also geht es beim Film zu?

Die Uhren der DEFA, der ehemaligen DDR-Filmgesellschaft, die 1946 das Gelände bezog, ticken langsamer seit der Wende. Die Treuhandanstalt, der jetzige Hauptgesellschafter, läßt die Mitarbeiter mit einer Entscheidung über die Zukunft der Filmstudios warten. Von ehemals etwa 2.500 Angestellten haben noch 750 einen festen Arbeitsvertrag, und auch sie sind nur zur Hälfte ausgelastet — 130 DEFA-Leute sind in Kurzarbeit. Rund 170 ehemalige Schauspieler, Kameraleute und Regisseure kümmern sich seit vergangenem Sommer ausschließlich um Besucher — und spielen in Halle 69 beispielsweise jeden Tag Szenen aus dem Karneval von Venedig. Bezahlt werden sie bis 1993 aus ABM-Mitteln.

Zur ABM-Kraft heruntergestuft wurde auch Schnittmeisterin Karin Kusche, die täglich Führungen an ihrem Schneidetisch empfängt, an dem sie 26 Jahre lang gearbeitet hatte. Seit sie im vergangenen März Erich Kästners Die verschwundene Miniatur vollendete, lief kein Spielfilm mehr durch ihre Finger. An ihrer Maschine läßt die 51jährige Schnittmeisterin nur noch Kinder probeweise Restfilme zusammenkleben.

»Glücklich bin ich damit nicht, das ist einfach nicht mein Metier«, sagt sie und lehnt sich an den Schneidetisch. Sie sei Praktikerin und wolle nicht nur Vorträge über ihre Arbeit halten. Natürlich hofft sie, bei dem neuen Besitzer der DEFA wieder angestellt zu werden, »aber mit der Ungewißheit fertigzuwerden ist schwer.« Die Stimmung sei bei allen Kollegen, die sie kenne, gleich. Durch die Hinhaltepolitik der Treuhand »wird alles verschleppt und bis zum Nullpunkt getrieben«.

Von den früheren Glamourzeiten ist auf dem ehemaligen Ufa-Gelände Babelsberg nicht mehr viel übriggeblieben. Die Filmstadt-Häuschen und Ateliers wirken verschlafen, nur selten dringen Geräusche nach draußen, die rissigen Asphaltwege sind selbst mitten am Tag kaum belebt. Ganz anders muß es vor 63 Jahren zu Ufa-Zeiten zugegangen sein. Da schlug Marlene Dietrich auf dem legendären Faß ihre Beine übereinander und sang als Lola-Lola in Der blaue Engel: »Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt«. Dies geschah in der größten Atelierhalle Europas, die seit diesem Jahr den Namen der Filmdiva trägt. Heute sitzt Marlene Dietrich nur noch als leicht verstaubte Puppe auf dem Originalfaß im Requisitengebäude.

Der Requisitenfundus der DEFA ist immerhin noch eine Goldgrube. Mit über einer Million Stücken vom Meißner Porzellan bis zur Leninbüste steht er als größter Europas im Guiness-Buch der Rekorde. Schon vor der Wende war der Fundus international begehrt und anerkannt. »Wir haben soviel getan, daß man uns jetzt nicht einfach abwickeln kann«, sagt Fundusleiter Kurt Ihloff.

Im Büro der Holzbaracke mit der Nummer 47b heizt Karl-Heinz Theuser noch mit dem Kachelofen in der Ecke. »Man sieht ja, wie es uns geht, wenn man die Gebäude anschaut — hier investiert keiner.« Der 58jährige Leiter des Baufundus hat momentan nicht viel zu tun. Er und seine vier Kollegen sind in Kurzarbeit, denn für die 3.000 Türen aller Stilrichtungen oder die 2.000 Fenster im Fundus interessiert sich keiner mehr. »Es ist kein gutes Gefühl, nicht mehr richtig gebraucht zu werden«, sagt Karl- Heinz Theuser leise, »und in meinem Alter hat man auch nicht mehr viel zu erwarten.« Ja, in den Vorruhestand könnte er gehen, aber er wolle gerne noch arbeiten. Zudem brauche er das Geld, weil seine Frau bereits im Vorruhestand sei.

Waltraut Stockfisch bezeichnet sich selbst als »Inventar der DEFA«. Eine Wolke voller Parfüm umweht die 61jährige, die wie eine Filmdiva wirkt mit ihrer blonden hochtoupierten Frisur und der vielen schwarzen Wimperntusche. Über 30 Jahre lang war sie dabei, als Friseuse, als Kleindarstellerin und in der Öffentlichkeitsarbeit. Heute führt sie noch manchmal Gruppen durch das Gelände. Sie kennt jeden und ist eine Art Stimmungsbarometer: »Es ist schlimm«, murmelt sie immer wieder, »die Leute sind deprimiert.« Die Anfangseuphorie nach der Wende sei verflogen. Waltraut Stockfisch befürchtet, daß noch viele nach der Treuhandentscheidung gehen werden müssen.

Der Karneval in Venedig in Halle 69 ist vorbei. Der Graf, alias Hans- Eberhard Göbel, sitzt verschwitzt in seiner Garderobe. Früher war er Leiter des Besetzungsbüros der DEFA. Jetzt ist er 61 und findet es immer noch besser, Besucher-Vorführungen zu machen, »als Arbeitslosengeld in Empfang zu nehmen«. Corinna Emundts

Siehe auch Bericht Seite 15