Liebesspiele

■ Die Abschlußklasse der Hochschule der Künste zeigt Marivaux' »Der Streit«

Der Schatten der Zivilisation eröffnet das Spiel und verheißt nichts Gutes: Der Fürst und seine Angebetete erscheinen uns zunächst als gespenstisches Doppelkonterfei; riesengroß und allmächtig legt es sich auf den Bühnenhintergrund, während diese beiden doch eher mickrigen Gestalten der Vernunft und Sittsamkeit sich in ihrer normalen Gestalt durchs Publikum nähern.

»Normal« heißt dabei alles andere als natürlich: Es sind zwei debile Gestalten, weit mehr dem Alchemistenkeller Frankensteins als der artifiziellen Welt der französischen Komödie entsprungen. Ihre grell geschminkten Gesichter, ihr steifer Gang, ihre verdrehten Kleider, deren Rockschöße sonstwo sitzen, nur nicht da, wo sie gemeinhin anzuliegen pflegen — all das ist eine böse Charakterisierung, die den höfischen Menschen in seiner die Natur entstellenden Maske entlarvt.

Ein Rokokofürst entführt hier im unheilschwangeren Gewitterregen seine Angebetete an einen stillen Ort. Dort soll ein für allemal eine Antwort auf die Frage gefunden werden, welches Geschlecht schuld daran ist, daß die Liebe von soviel Unbill, Zwist und Untreue begleitet ist. Der Streit soll durch ein Experiment geklärt werden: vier menschliche Wesen wurden einst von der Gesellschaft abgetrennt. Nur von zwei Schwarzen ernährt und in der Sprache unterwiesen, wurden sie in Einsamkeit aufgezogen. Nun ist der Tag gekommen, da sie aufeinander losgelassen werden können, endlich wird sich entscheiden, welcher Natur die Geschlechtsextreme dieser Welt im Anfang waren?

Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux' Der Streit ist keine spröde Abhandlung über die Urgründe unserer Existenz, sondern eine ausgesprochen vergnügliche Komödie, die statt schwerfälligem Diskurs poetische Leichtigkeit, statt zivilisierter Gedankenstrenge heitere Typenschau und statt rückgewandter Heilsseeligkeit kritische Gegenwartsschau betreibt. Ein Lächeln liegt über dem Geschehen und warnt davor, die Satire aus dem Blick zu verlieren.

Unter der Leitung des Schaubühnendarstellers Gerd Wameling hat es die Abschlußklasse der HDK verstanden, jener heiteren Stimmung Raum zu geben, die den müßigen Wettstreit der Geschlechter um das Monopol der Anständigkeit mit einem zwinkernden Auge kommentiert.

Nicht der nutzlose Traum nach einer unverstellten Natürlichkeit ist hier Thema, sondern die gnadenlose Konsequenz, mit der sich alte Klischees bewahrheiten. Die uns vorgestellten Unschuldslämmer — in sündenloses Weiß gesteckt — verfallen alsbald dem ganzen Kaleidoskop der schlechten Selbstverliebtheit und listigen Hinterhältigkeit — kaum daß man sie aufeinander losgelassen hat. Auf ganz zwangsläufige, eben natürliche Weise wird dem in der Welt ausgesetzten Menschen die Selbstverliebtheit zum ersten festen Halt, und sobald mehr als ein Gegenüber greifbar wird, tobt die Unentschiedenheit und Amoral.

Die geschlechtsspezifischen Zwänge werden geradezu körperlich erfahren und ausgelebt: männliche Kameradschaft wird zum Kampf der Bodybuilder, weibliche Selbstverliebtheit zur keifenden Eifersüchtelei. Was uns dabei lachen läßt, ist nicht die Unbeholfenheit der sozial noch so ganz Ungeübten, sondern die lastende Formelhaftigkeit der Sprache, die alle Verhaltensweisen schon in sich trägt. So sprechen sie zu Beginn, da sie das Wort »Mann« und »Frau« noch nicht kennen, von »Objekten« oder »Personen«, und sie vergehen vor Liebe, Wut und Eifersucht, derweil sie diesen Gefühlen zuallererst den Namen geben.

Die allmähliche Korruption im Miteinander wird hier noch einmal stellvertretend nachvollzogen. Keine Kaspar Hauser also, sondern Nachhilfeschüler in Sachen Gefühl stehen im für sie und uns ausgebreiteten Sandkasten, und ihr Erfahrungshorizont, der noch ganz unerfahren auf die Dinge trifft, wird zusehends mit Leben gefüllt. Ein Leben, das unseren Widersprüchen entspricht und unerbittlich in den Vertragskanon der Zivilisation hinführt. Die Figuren, die bis dato aller Gesellschafts-Verbildung entbehren durften, verfallen dem geschlechtsspezifischen Verhaltenskodex gnadenloser, als man denkt, und schneller, als es einem liebt ist.

Am Ende ist das Experiment — natürlich — gescheitert: Die Angebetete des Fürsten hält den Lauf der Welt, der die Untugenden gerecht verteilt, schließlich nicht mehr aus: Sie stürzt sich, da aus den vier Unschuldslämmern ein wüster eifersüchtiger Menschenberg geworden ist, auf die Szene und verprügelt alle, die ihr das Recht, die Beste, Klügste, Moralischste zu sein, so gräßlich untergruben.

Mit dramaturgischer Präzision erscheint, da sich in der Rahmenhandlung das Unbelehrbare zeigt, die Idealvorstellung paradiesischer Zweisamkeit auf dem Plan: das Kitschpaar, das sich selbst genügt und nur sich lieben will — der Schlußgag. Weil die beiden uns nicht viel mehr zu sagen haben, müssen sie alsbald wieder hinterm Vorhang verschwinden. Zurück bleibt ein leerer Sandkasten, der uns unsere Rollenklischees einmal mehr bestätigt hat.

Die Inszenierung hatte zwei Premieren und wird in unterschiedlicher Besetzung gespielt. Der Vergleich lohnt: man kann darüber staunen, wie in einem fast hundertprozentig gleichem Bewegungsablauf, immense Unterschiede sichtbar werden können — aber ebendas ist die humane Wahrheit auf die diese kleine Inszenierung hinausläuft: hinter der klarsten Typenvorgabe scheint letztlich doch das Individuelle durch, wie selbstherrlich es sich dadurch auch gebärden mag. baal

Weitere Vorstellungen: Erste Besetzung morgen und am 19., 22., 24., 26.4.

Zweite Besetzung heute und am 18., 20., 23., 25.4. jeweils um 20 Uhr. im Probensaal der HDK, Fasanenstraße