SOMNAMBOULEVARD — TINGPLATZ ANGST VON MICKY REMANN

Wie man sich bettet, so schlafwandelt man. Zwar trägt unser Kopf den Somnamboulevard stets mit sich herum, der auch schnurstracks in den Hyperspace führt, ganz gleich, in welcher Landschaft der Kopf auf die Kissen sackt und ob überhaupt ein Kissen vorhanden ist, weil es ja auch eine Moosbank sein könnte, ein Kanapee, ein Schoß, ein Schlafsack, ein Liegestuhl oder ein Himmelbett. Gleichwohl sind die günstigen physikalischen Eigenschaften des Somnamboulevards — er ist schnell wie das Licht, Masse und Gewicht sind gleich Null, dennoch enthält er sämtliche Phänomene des Universums, kurz, er ist raumzeitmäßig allgegenwärtig —, nur die eine Seite des Axioms. Auf der anderen steht geschrieben, daß es sehr wohl darauf ankommt, auf welcher Ortskoordinate der müde Schädel parkt und mit welcher geo-materiellen Nährlösung er in Stoff- und Schlafwechsel tritt, denn all dies hat Auswirkung auf Klima und Farbe, Tonalität und Tiefenschärfe des Traumlebens.

Nehmen wir nur den Vorgang, in dem just jetzt ich mich befinde. Vage erinnere ich mich, daß ich meinen Körper — diesen Universalmietwagen aus allen Somnamboulevards — vorhin auf das flauschige Heidschnuckenfell in einem Tipi in der Lüneburger Heide gebettet hatte, welches von einer germanischen Tingstätte hier und einem Hünengrab dort eingerahmt ist, und daß eine geschnitzte afrikanische Fruchtbarkeitsgöttin über diese Lagerstatt wacht. Dann aber dieses: Um mich her sind Leute wie du und ich, doch sie sind ratlos, ängstlich und verwirrt. Eine Katastrophe hat stattgefunden, so viel steht fest, aber niemand weiß, welche. Folge des Unheils: jegliche Verbindung mit dem Rest der Welt ist abgebrochen. Kein TV, keine E-Mail, kein Telefon, kein Strom, keine Zeitung — null Nachrichten, noch nicht einmal 'Die Wahrheit‘ erscheint. So lungern wir herum mit dem Mind-Set des 20.Jahrhunderts und der Informationsdichte der Steinzeit. Grausiges Vakuum, großes Scheitern! Einige Klassensprechernaturen wollen Versammlungen einberufen, sie fordern: „Leute, wir müssen noch mal ganz von vorne anfangen!“ Doch die meisten sind es zufrieden, Opfer dieser namenlos über sie hereingebrochenen Implosion zu sein, und warten stumpf nörgelnd auf irgendetwas, egal, ob Rettung oder Untergang. „Merkt ihr denn gar nicht, daß ihr alle beträumt werdet von eurer Lethargie?“, rufe ich da im Traum, ohne zu merken, daß ich selbst träume, in tosender Wut meinen Mitträumern zu, bis daß mein Tipi wackelt. Was mich insofern wieder zur Räson bringt, als ich hernach verkündigen kann: „Ihr habt die Wahl: 1.Nichts ist geiler als turbulente Entspannung. 2.Nichts ist entspannender als geile Turbulenz. 3.Nichts ist turbulenter als entspannte Geilheit!“

Das, wie gesagt, kommt davon, wenn man seinen Somnamboulevard über den Knochen eines Tingplatzes in der nordgermanischen Tiefebene aufschlägt. Besonders wenn da gerade die Erde bebt.