Education sentimentale

Über „Rambling Rose“ (Die Lust der schönen Rose)  ■ Von Gerhard Midding

Rambling Rose“ bedeutet „umherwandernd“ und, auf Pflanzen bezogen, „üppig rankend“ oder gar „wuchernd“. Auf Rose (Laura Dern), um deren Lust der deutsche Titel so viel Aufhebens macht, trifft beides zu. Sie ist gezwungen, umherzuwandern, seitdem die Jungs in ihrem Heimatort und ein Bordellbesitzer herausgefunden haben, wie üppig diese Südstaatenknospe bereits gewachsen ist. Im Haus der Hillyers scheint sie zunächst eine neue Heimat gefunden zu haben: Dort herrschen Heiterkeit und Toleranz, der Vater (Robert Duvall) erobert sie mit einer Mischung aus Herzlichkeit und trockenem Humor, in der Mutter (Diane Ladd) erahnt sie eine verständnisvolle Freundin. Der kluge, heftig pubertierende Buddy (Lukas Haas) hat sich ohnehin augenblicklich in sie verliebt.

Die Harmonie wird empfindlich gestört, als Rose eines Nachts Daddy ihre Liebe gesteht und beide sich in einer leidenschaftlichen Umarmung wiederfinden. Rasch flüchtet sich der Vater indes in die Rolle des gestrengen Patriarchen, der fortan eifersüchtig über Roses Liebesabenteuer wachen wird. Und da hat er tatsächlich alle Hände voll zu tun: Die abgewiesene Rose zieht bald die Begehrlichkeit des halben Ortes auf sich. Als ein Arzt den Hillyers rät, Roses „hormonell bedingte Nymphomanie“ durch einen operativen Eingriff zu beseitigen und sie dadurch ihrer Weiblichkeit zu berauben, ist der Vater nur allzu bereit dazu. Die Mutter rettet sie.

Solche Geschichten finden im amerikanischen Kino eigentlich nicht mehr statt. Erwachende Sexualität erfüllt sich dort nur in den Nummernrevuen schlüpfriger Teenagerkomödien. Und wer bürgerliche Doppelmoral anprangern will, tut dies meist aus der sicheren Distanz des Satirikers. Martha Collidge erzählt den Film jedoch als unspektakuläre Education sentimentale und taucht ihn in das warme Licht der Nostalgie. Die Geschichte spielt Mitte der dreißiger Jahre, von der Depression, die damals Amerika erschütterte, ist allerdings nur wenig zu spüren.

Der Flm macht sich indes nicht Roses Perspektive zu eigen: er beruht auf der autobiografischen Novelle des Schriftstellers Calder Willingham, der bereits als Co-Autor von Die Reifeprüfung eine glückliche Hand bei der tragikomischen Nacherzählung erster Liebeslektionen bewies. Dessen alter ego Buddy ist es, der die den Film prägenden Erfahrungen und Lernprozesse durchlebt und sich ihrer in der Rahmenhandlung erinnert. Willingham weiß, daß man eine solch unaufwendige Anekdote heute nur noch erzählen kann, wenn man um sie herum außergewöhnliche und fesselnde Charaktere gruppiert. Er weiß auch, daß man diese am ehesten in den Südstaaten findet: jener Kinolandschaft, in der sich das traditionelle Selbstverständnis von Großzügigkeit und Warmherzigkeit dramatisch reibt mit der Grausamkeit, mit welcher dort die herkömmlichen Geschlechterbeziehungen konsolidiert werden.

Unter Martha Collidges Regie ist daraus ein Schauspielerfilm geworden, in dem sich die bodenständige Exzentrik des Figurenensembles vollends entfalten kann. Diane Ladd brilliert als Mutter, die zwar schwerhörig sein mag, dafür aber eine scharfsinnige Gegnerin von Ignoranz und Bigotterie ist. Robert Duvall zeigt hinter dem Wohlwollen und dem Humor des Vaters einen bedrohlichen Zwiespalt, als dieser Rose seiner eigenen Doppelmoral opfern will. In einer Rolle, die Gefahr läuft, zum reinen Klischee zu werden, hat Lukas Haas dennoch einige überraschende Momente, vor allem in der Szene, in der sich die vom Vater abgewiesene Rose in die vermeintliche Sicherheit seines Bettes flüchtet: Beharrlich feilscht er mit ihr um jede weitere Zärtlichkeit — ein harmloser, verliebter Erpresser, der ihre Traurigkeit ignoriert. Laura Dern wäre in der Titelrolle eigentlich das Ereignis des Films, würden ihr Ladd und Duvall nicht ständig die Szenen stehlen: ein Kleinstadtvamp von nachlässiger, schlaksiger Anmut, hilflos und trotzig Sehnsüchten ausgeliefert, die ihre Umwelt verdammt.

Rambling Rose (Die Lust der schönen Rose). USA 1991, Regie: Martha Coolidge. Mit Laura Dern, Robert Duvall, Diane Ladd u.a., 113 Min.