„Alle heroischen Ziele erreicht“

Um die territoriale Einheit Afghanistans zu retten, wollen Pakistan und der Iran den Machtwechsel beim Nachbarn forcieren/ Neuer Faktor im Norden: Bündnis entlang ethnischer Zugehörigkeiten  ■ Von Ahmed Taheri

Im afghanischen Bürgerkrieg überschlagen sich die Ereignisse. Vor wenigen Tagen erklärte der Staatschef Nadschibullah, er sei bereit, sofort zurückzutreten, wenn ein provisorischer Verwaltungsrat die politischen Geschäfte im Lande übernähme. Noch vor vier Wochen hatte Nadschibullah verkündet, nach der für Anfang Mai vorgesehenen Afghanistan-Konferenz werde er seinen Stuhl zugunsten einer Interimsregierung räumen.

Die neue Meldung aus Kabul versetzte die Mudschaheddin sowie den UNO-Vermittler in arge Bedrängnis. Eine Regierung in Afghanistan zusammenzustellen, ist wahrlich keine leichte Aufgabe, denn Konsens war niemals eine afghanische Tugend. Die gemäßigten Gruppen unter den afghanischen Rebellen haben bereits eine Namensliste mit 300 Personen der UNO vorgelegt. Nun soll der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Butros Ghali, 15 Personen aus dieser Liste auswählen. Gehandelt werden dabei Namen der Politiker aus den Zeiten des entmachteten Königs Sahir Schah, von denen einige im westlichen Ausland leben.

Indes haben die radikalfundamentalistischen Rebellenführer Gulbuddin Hekmatyar und Abdul Rasul Sayyaf den vorgesehenen „Rat“ kategorisch abgelehnt. Man wolle den heiligen Krieg fortsetzen, heißt es im Lager der Unversöhnlichen. „Der heilige Krieg ist zu Ende“, rief Nawaz Scharif, pakistanischer Regierungschef und Schirmherr des afghanischen Widerstands diese Leute zur Ordnung. „Denn alle seine heroischen Ziele sind erreicht. Unsere afghanischen Brüder sind dabei, ein neues Kapitel in ihrer Geschichte aufzuschlagen.“

Die Forcierung des Machtwechsels, vermuten die Beobachter, hängt nicht zuletzt mit der militärischen Entwicklung im Norden Afghanistans zusammen: Unlängst hat eine Allianz des tadschikischen Rebellenführers Ahmad Schah Masud und der „moslemischen“ Kräfte in der afghanischen Armee die Herrschaft über die nordafghanische Stadt Mezar Scharif übernommen und alle Versorgungswege der Hauptstadt blockiert. Über Mezar Scharif bezog Nadschibullah Lebensmittel und Munition aus den Moslemrepubliken der einstigen Sowjetunion.

Überdies stellt die Entwicklung im Norden auch eine gewisse Gefahr für die territoriale Einheit des Landes dar. Das neue Bündnis, das unter dem Namen islamische Bewegung Afghanistans aufgetreten ist, hat nämlich einen ethnischen Hintergrund. Die nördlichen Provinzen Afghanistans sind von Turkmenen, Usbeken und vor allem Tadschiken, der zweitgrößten Volksgruppe Afghanistans, bewohnt. Die südlichen und östlichen Regionen hingegen werden von Paschtunen beherrscht. Findet sich nicht rasch eine für alle Seiten halbwegs annehmbare Alternative zu Nadschibullah, so ist die Gefahr der Spaltung des Landes in einen paschtunischen Süden und einen tadschikischen Norden nicht unwahrscheinlich.

Dabei dienen die zentralasiatischen Republiken des zerfallenen Sowjetreichs, denen die nationalen Minderheiten Afghanistans ethnisch und kulturell eng verbunden sind, als Vorbild. Diese mögliche Entwicklung paßt aber keineswegs ins Konzept der afghanische Nachbarländer Pakistan und Iran. Beide Länder haben eingesehen, daß nur ein einigermaßen stabiles Afghanistan Zugang zu den ehemaligen Sowjetrepubliken und damit beträchtliche wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten gewährleisten kann. Diese Einsicht könnte die UNO befähigen, das Land vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren und einer friedlichen Lösung zuzuführen.

Rebellen rücken vor

Kabul (ap) — Zwei miteinander rivalisierende afghanische Rebellengruppen haben am Mittwoch die Eroberung des größten Luftstützpunktes des Landes gemeldet. Wie aus diplomatischen Kreisen in Kabul verlautete, sollen die Streitkräfte nach dem Fall des rund fünfzig Kilometer nördlich von Kabul gelegenen Fliegerhorsts Baghram in Alarmbereitschaft versetzt worden sein. In der afghanischen Hauptstadt waren Gerüchte über einen nunmehr bevorstehenden Angriff auf Kabul und die Flucht von Präsident Nadschibullah aus der Hauptstadt im Umlauf.

Unklar blieb vorerst, wer Baghram eingenommen hat: die beiden größten Guerillagruppen, Dschamiat-e-Islami und Hisb-e-Islami, berichteten in der pakistanischen Stadt Peshawar etwa gleichzeitig, ihre Kämpfer hätten den Stützpunkt erobert.

Von seiten der Regierung in Kabul lag keine Stellungnahme vor. Am Dienstag hatte Dschamiat die Einnahme von Charikar, der Hauptstadt der Provinz Parwan, und der in der Nähe gelegenen Garnisonstadt Dschabal-us-Saradsch gemeldet. In militärischen und diplomatischen Kreisen hieß es dazu, die jüngsten Erfolge seien hauptsächlich das Ergebnis von Verhandlungen gewesen, es habe kaum Kämpfe gegeben. Nadschibullah hat die Bereitschaft erklärt, bei einer Verhandlungslösung die Macht an einen Übergangsrat abzutreten. Möglicheweise wollen die Rebellen vor einer solchen Regelung noch vollendete Tatsachen schaffen.