Illusionen vom schwarzen Wind verweht

Um die Jahrtausendwende kehrt der Tagebau Nochten an seinen Ursprung zurück/ Die Menschen in Mühlrose wissen nicht, ob ihr Dorf der Kohle zum Opfer fällt/ Energiekonzept mit kräftigem Alternativ-Mix gibt der Verstromung den Vorrang  ■ Aus der Lausitz Detlef Krell

„So lange wie wir verheiratet sind, haben wir gebaut, beide“, seufzt Marta Honko. Sechzig Jahre steht ihr für die mittlere Lausitz typisch ockerfarbenes Ziegelhäuschen an der Straße, die ins Dorf Mühlrose führt.

Willy Honko hat es von seinem Vater geerbt. Heute wohnen die beiden mit ihren Kindern und Enkelkindern unter dem weiten Dach. „Früher wuchsen da hinten 25 Meter hohe Fichten“, schwärmt der Mann und zeigt über den Dachsims ins Leere. „Wenn der Bagger hier angekommen ist, dann steht der so riesig über dem Haus, daß du denkst, er kann dich greifen.“

Hinter Haus und Hof der Honkos streckt sich ein bewachsener Damm bis zum Dorf. Hinter dem Damm rasseln Kohlebrocken über ein Förderband auf Lastwagen und Loren. Heute scheint die Sonne, der Wind hält sich zurück. Aber wenn es von Süden her weht, „dann kannst du zusehen, wie der schwarze Staub kommt“. Da kratzt die Kohle in Hals und Lunge, und die Hausfrau möchte das Putzen aufgeben.

Energie braucht das Land

Wo sich über Generationen die Sagen und Märchen der Sorben im Dickicht verbargen, bunte Fische sich in der Struga tummelten und feiertags Menschen in Festkleidung auf der Tenne tanzten, dort haben Baggerschaufeln das Erdreich tief aufgewühlt, Flöze freigelegt und ausgekratzt, bis nur noch die grauen, abweisenden Krater blieben. Jetzt sickert die Struga pestbraun im künstlichen Bett zur Spree, verfallen ruhen Bauernhöfe und Sägewerk.

Energie braucht das Land. In der Lausitz, dem Land der Sorben, fand es seine Steckdose. Als vor 17 Jahren der Tagebau Nochten zu graben begann und zum Frühstück das halbe Dorf Mühlrose wegschluckte, kam der schwarze Wind ins Land. Die Mühlrosener nahmen in der Kohle eine Arbeit. Sie gruben den schwarzen Schatz aus und sich selbst das Wasser ab unter den kargen Böden. Eigenes Brot bringt dieser Landstrich nicht mehr auf den Tisch. Aber Kohle birgt er noch heute. Mühlrose liegt am Ende der Abbaufigur des Tagebaus Nochten. Etwa im Jahre 2020 wird der Bagger das Dorf wieder erreichen. Vor Schleife, wo die Sorben seit Urzeiten zum Kirchspiel gehen, werden seine Schaufeln dann einen Kranz ziehen, der Rohne, Mulkwitz und Mühlrose einschließt.

Bereits in DDR-Plänen waren diese Dörfer zum Abriß nach der Jahrtausendwende vorgesehen. Im vergangenen Jahr kam die Umsiedelung wieder ins Gespräch.

Die LAUBAG als Gewinnungsbetrieb ging in die Dörfer und verhandelte. Schleife als neuer Wohnort, hieß ein Kompromiß, mit dem nicht wenige Dorfleute meinten, leben zu können. „Das wurde recht schmackhaft gemacht“, erinnert sich Rosemarie Noack, die parteilose Bürgermeisterin von Mühlrose. „Weil eben die Umwelt hier so schlecht ist und die Kohleverladung vor der Tür noch eine Weile bleiben wird, haben viele Leute eingewilligt. Im Herbst begannen schon die Vorbereitungen, obwohl noch gar nicht klar war, ob hier überhaupt gefördert wird.“ Auch der sorbische Bürgermeister von Rohne, Manfred Hermasch (CDU), sollte sich entscheiden. Für ihn steht fest: „Wenn die Dörfer wegkommen, dann gehen die alten Menschen weg und mit ihnen unsere Kultur, unsere Sprache.“ Mit seinen Amtskollegen aus den Nachbardörfern ist er sich einig: „Wir haben nichts gegen ein Weiterbetreiben des Tagebaus, da er noch zahlreiche Arbeitsplätze sichert und das Land Kohle braucht. Aber wir wehren uns dagegen, daß nach dem Jahr 2000 noch sorbische Dörfer beansprucht werden.“

Nicht gegen die Kohle und gegen die LAUBAG richtet sich der Widerstand der BürgerInnen, sondern gegen fortgeschriebenen Raubbau an ihrer Umwelt. „Wenn das Energiekonzept für das Land Sachsen endlich auf den Tisch käme, wäre klar, wo die Standorte der künftigen Verbraucher Lausitzer Kohle sind, und dann könnten die Gewinnungsbetriebe perspektivische Planung möglich machen“, erklärt der Bürgermeister Hermasch die Forderung der Kommunen.

Ein nützliches Instrument, die kommunalen Interessen denen der Gewinnungsbetriebe gegenüberzustellen, beobachtet er als Zaungast im Nachbarland Brandenburg. Dort hat Hermasch noch einen „Sitz, aber keine Stimme“ im Braunkohleausschuß. Vergleichbares gibt es in Sachsen nicht. Bald nach ihren BürgerInnen-Foren blies die LAUBAG zum Rückzug, aus den gleichen Gründen, aus denen auch die Dörfer gegen die Ausweitung des Tagebaus protestierten: Für vage, durch kein Konzept gestützte Umsiedelungspläne gibt es kein Geld.

Vorstandssprecher Baumann erklärt die Verunsicherung der LAUBAG: „So lange die Treuhand nicht über die Privatisierung entschieden hat und von der Landesregierung weder ein Energiekonzept noch Richtlinien für die landesplanerische Entwicklung vorliegen, können wir nicht über Pläne für Abbau und Umsiedlung sprechen.“ Nachdem sie „zu Weihnachten“ vergebens auf eine Entscheidung der Treuhand über das Unternehmenskonzept gehofft hatte, erwartet die LAUBAG nun nach Ostern klare Worte.

Noch im November hatte Vorstandsmitglied Jung auf einer Anhörung des Landtagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit über die „Neuordnung der sächsischen Energiepolitik“ angekündigt, daß die Großtagebaue Nochten und Reichwalde bis „weit über das Jahr 2000 Bestand haben“. Die Frage nach den Abnehmern scheint geklärt, seit die Vereinigte Energiewerke AG (VEAG) neben dem Bau von zwei 800-Megawatt-Blöcken am Standort Schwarze Pumpe auch den Bau eines Kraftwerkes mit gleicher Leistung in Boxberg angekündigt hat.

Die „Energiepolitische Konzeption für den Freistaat Sachsen“, auf die sich so viele Erwartungen in der Lausitz richten, liegt als Entwurf im sächsischen Wirtschaftsministerium. Noch in diesem Jahr, so das erklärte Ziel im Haus Schommer, soll auf dessen Grundlage ein Energieprogramm erarbeitet werden. Klaus Gaber (Bündnis 90/Grüne) sieht in diesem Papier nur sehr verschwommene Ansätze für eine alternative Energiepolitik. Es fehle eine Aussage, welche Fördermengen und Abbaugebiete das Land Sachsen unter ökologischem Aspekt noch vertragen kann, und ein zumindest grob umrissenes Ausstiegsszenario für die Braunkohle.

Eine „Grundgröße“ der Braunkohleförderung sollte erhalten bleiben, heißt es im Entwurf des Energiekonzeptes. Vorrang habe die Verstromung. Das sehen auch die Lausitzer so. „Wir wollen nicht die Buhmänner der Kohle sein.“ Rohnes Bürgermeister rechnet vor, daß den Baggern noch 25 Jahre bleiben, in denen sie abbauen können, ohne daß Dörfer fallen müssen. „Bis dahin ist doch wohl genug Zeit, Alternativen für die Energieerzeugung zu finden und die Monostruktur in dieser Gegend mit anderen Arbeitsmöglichkeiten auszufüllen.“

Arbeit über Jahre liegt für die Leute in dieser Gegend vor der Haustür. Die Rekultivierung der Landschaften wird in Sachsen etwa 15 Milliarden Mark kosten. Noch setzt die LAUBAG ihre Arbeitslosen auf ABM-Stellen zum „Löcher zumachen“ ein. Auf der Suche nach zukunftsträchtigen Wegen zu einer gesunden Landschaft richten sich die Blicke wieder nach Dresden und Bonn. Aus Sachsen fließen bislang mehr als elf Millionen DM für die Rekultivierung in den Braunkohlebergbau.

Illusionen sind längst vom Winde verweht. „Kraftwerk und Kohle, das ist zuwenig zum Überleben“, weiß Rosemarie Noack. „Wir haben hier bei Mühlrose ein altes Wehr, da fließt die Spree runter. Landschaftlich ist das sehr schön. Der Wasserfall wurde früher für Strom genutzt, der bringt 350 Kilowatt. Wir haben uns einem Zweckverband angeschlossen, dem Ostsächsischen Wasserkraftzweckverband. Wenn alle die alten Wehranlagen wieder in Gang sind, können wir Strom verkaufen. Das wäre eine günstige Einnahmequelle für die Kommune.“

Am Dorf hänge eigentlich jeder, „an allem, was wir uns hier so geschaffen haben – das Schwimmbad, die Kegelbahn. Sieht zwar alles bißchen grau aus, aber trotzdem.“ Wenn Marta Honko mit ihrer Freundin Mari heute den Teig für das traditionelle Osterbrot knetet, können sich die beiden Frauen zum ungezählten Mal keinen Reim auf all die Gerüchte machen, die durchs Dorf geistern. Ob sie auf ihre alten Tage noch erleben, daß ihre Häuser unter den Bagger kommen? Und wo werden dann die Enkel wohnen?