Ankläger: Schwammberger schuldig

In seinem Plädoyer sah der Staatsanwalt in Stuttgart mindestens einen Mord als erwiesen/ Erst zwei der 52 Punkte in der Anklageschrift wurden berührt/ Schwammbergers Einwände „unglaubwürdig“  ■ Aus Stuttgart Edgar Neumann

„Schwammberger hat sich ins Vergessen geflüchtet!“ So bewertet Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm den aus seiner Sicht vergeblichen Versuch des früheren SS-Oberscharführers Josef Schwammberger, im vermutlich letzten großen NS-Prozeß die ihm vorgeworfenen Mordtaten zu bestreiten. Der 80jährige habe sich in mindestens einem Fall des Mordes schuldig gemacht, erklärte Schrimm gestern in seinem Plädoyer vor dem Landgericht Stuttgart. Am 20. September 1942 — dem jüdischen Feiertag Jom Kippur — habe Schwammberger als Leiter des Zwangsarbeitslagers Rozwadow im besetzten Polen den Rabbiner Fränkel erschossen. Niedrige Beweggründe und Rassenhaß hätten die Tat begründet. Er habe die übrigen Gefangenen antreten lassen, um ein Exempel zu statuieren. Sie sollten merken, wie es denen ergehe, die sich seiner (Schwammbergers) Herrschaft nicht unterordneten. Daß er ausgerechnet einen jüdischen Geistlichen am höchsten jüdischen Feiertag ermordet habe, zeige, wie sehr sich der Angeklagte dem Rassenhaß der Nazis verschrieben habe. Zahlreiche Zeugen hatten vor Gericht geschildert, Schwammberger habe den Rabbi der Arbeitsverweigerung und der Sabotage beschuldigt. Anschließend, davon ist Schrimm überzeugt, erschoß er Fränkel.

Einen weiteren Anklagepunkt, wonach der frühere SS-Mann in Krakow einen Juden auf der Straße erschossen haben soll, ließ der Staatsanwalt fallen. Dieser Vorfall könne auch als Totschlag gewertet werden und wäre somit verjährt. Das nach Plädoyer soll am 27. April fortgesetzt werden. Bisher befaßte es sich lediglich mit zwei der insgesamt 52 Punkte umfassenden Anklageschrift, in der Schwammberger 45facher Mord und Beihilfe zum Mord an mehr als 3.000 jüdischen Zwangsarbeitern zur Last gelegt wird.

Schrimm betonte, Schwammberger sitze nicht als Repräsentant des NS-Regimes auf der Anklagebank, sondern weil er teils grausam und unter Ausnutzung seiner Position als Lagerleiter wehrlose Menschen getötet habe. Daraus ergebe sich die moralische Pflicht, auch einem 80jährigen Mann jetzt noch den Prozeß zu machen. Eine Verantwortung der Justiz für die späte Verfahrenseröffnung wies Schrimm zurück. Schwammberger war im November 1987 in Argentinien festgenommen worden, wo er Jahrzehnte unter falschem Namen gelebt hatte. Im Mai 1990 wurde er an die Bundesrepublik ausgeliefert. In dem Prozeß, in dem es kaum materielle Beweismittel gab, spielten die Aussagen von Überlebenden des Holocaust eine wichtige Rolle. Deren widersprüchliche Angaben müssen nach Auffassung Schrimms sehr differenziert gesehen werden. Die Unzulänglichkeit menschlicher Wahrnehmung berücksichtigend, gebe es aber im Unterschied zu vielen anderen Mordprozessen Augenzeugen. Wegen der unterschiedlichen Angaben zu Zeit und Entfernungen bei bestimmten Tatgeschehen müsse die Glaubwürdigkeit nicht automatisch in Zweifel gezogen werden. Als überhaupt nicht glaubwürdig sieht Schrimm dagegen Schwammbergers eigene Einlassung an, wonach er bei den ihm zur Last gelegten Taten eigentlich mit Bestrafung von seinen Vorgesetzten hätte rechnen müssen. Bei der von den Nazis vorangetriebenen „Endlösung der Judenfrage“ habe der Erfolg im Vordergrund gestanden. „Wenn dazu Erschießungen notwendig waren, interessierte sich bei höherer Stelle dafür niemand.“