: Geschichte und Geschichten
■ »Stattreisen« bietet eine neue Stadt-Tour an — diesmal mit der Tram
Berlin-Oberschöneweide. Die »Elektrische« knirscht und rattert durch die Wilhelminenhofstraße Richtung Wuhlheide. Auf der linken Seite stehen heruntergekommene Häuser, die nur noch zum Teil bewohnt sind. Anfang dieses Jahrhunderts lebten dort Arbeiter, die für die »industrielle Revolution« schufteten.
Zur Arbeit hatten sie es nicht weit. Gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite entstand ein Industriegebiet, direkt an der Spree. Noch heute zu sehen: der Komplex der Nationalen Automobilfabrik, NAG, ein weitverzweigtes Werk, entworfen von dem Berliner Architekten, Formgestalter und Grafiker Peter Behrens. Der Wasserturm der Fabrik, er heißt berlinerisch-großmäulig »Direktionsturm«, erlaubt einen Ausblick auf die Stadtplanung der Jahrhundertwende: die Spree als Transportstraße und Wasserspeicher für die angrenzende Industrie; nebenan Arbeitersiedlungen und, zwischen Produktions- und Reproduktionsbereich, die Straßenbahn für den Transport von Industriewaren und Arbeitern.
Der ehemalige Wasserturm ist voller Geschichten und Geschichtchen. Nach 1945 wurde auf dem Gelände der NAG der VEB »Werk für Fernsehelektronik« (WF), gegründet, der Direktionsturm beherbergt nun das Firmenmuseum des Ex- Kombinats. Prunkstück der Ausstellung ist die erste und einzige Mikrowelle »Made in GDR«, ein klobiges Gerät in Kühlschrankgröße.
Nächster Halt der Tram-Tour ist das Museums-Wasserwerk in Köpenik. Dort wird extra für die Besucher Dampf gemacht — ein Erlebnis, nicht nur für Technik-Freaks.
Vom Häusermeer zum grünen Strand heißt die neuste Tour von »Stattreisen«, eine Fahrt mit der Tram von Schöneweide bis zum Müggelsee. Seit 1983 bietet der Verein Einzelpersonen und Gruppen Gelegenheit, die Geschichte und Entwicklung Berlins zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit S-, U-Bahn und per Schiff nachzuspüren. Winfried Ripp und seine KollegInnen haben ein überzeugendes Konzept entwickelt, Unterhaltung, Erholung und Information miteinander zu verbinden. Auf ihren spannenden Stadt-Reisen fügen sich kulturelle Sprengsel zusammen, Zusammenhänge sind plötzlich erkennbar: Berlin — ein durchschaubarer, lebendiger Organismus. Werner
Tram-Tour: Vom Häusermeer zum grünen Strand , jeweils sonntags, Start 11 Uhr vor dem Bahnhof Schöneweide, Haupteingang, Dauer 3 Std., DM 17/15.
Stattreisen Berlin, Stephanstr. 24, Berlin 21, Tel.: 3953078.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen