Das fast vergessene Lager in Marzahn

■ Seit einigen Tagen steht im ehemaligen »Zigeunerlager Marzahn« eine Gedenkplastik/ Zu Beginn der Olympiade 1936 »säuberten« die Nazis die Stadt von Sinti und Roma und verbrachten sie dorthin

Marzahn. »Zigeunerlager Marzahn«: In offiziellen Darstellungen sind darüber meist nur ein paar Zeilen zu finden, oft wird es ganz vergessen. Dabei war es das erste seiner Art. Pünktlich zum Beginn der Olympischen Spiele 1936 wollten die Nazis ihre Hauptstadt frei von Sinti und Roma haben. »Zur Bekämpfung der Zigeunerplage« ließ Reichsinnenminister Frick auf ehemaligen Rieselfeldern nördlich des Friedhofes Wiesenburger Weg in Marzahn das Lager einrichten, zynisch »Rastplatz« genannt. Und da die Sinti und Roma dort nicht freiwillig rasten wollten, wurde nachgeholfen. Der Berliner Polizeipräsident ließ einen »Landfahndungstag nach Zigeunern« durchführen, ab Juli 1936 wurden die ersten Sinti und Roma in das Lager Marzahn abtransportiert.

Die Begründung wurde nachgeschoben. 1937 gab es einen Erlaß Heinrich Himmlers zur »vorbeugenden Verbrechensbekämpfung«, Sinti und Roma konnten als »Asoziale« in »Vorbeugehaft« genommen werden. Schließlich könnten »ungeordnete Lager auf privaten Grundstücken« nicht geduldet werden, verkündeten die Nazis, die dortige »Unsauberkeit und Verwahrlosung« bedeuteten eine »ernste Gefahr für die Volksgesundheit«. Daß die Sinti und Roma keineswegs das »umherziehende Gesindel« waren, wie die Nazis behaupteten, sondern in Berlin schon seit Jahren auf ihren Stellplätzen oder in Wohnungen lebten, kümmerte dabei wenig. Denn bereits mit den »Nürnberger Rassengesetzen« von 1933 hatten die Nationalsozialisten klargemacht, daß für sie auch Sinti und Roma zu den »minderwertigen Rassen« gehörten und somit ausgelöscht werden sollten. Konkretisiert wurde dies dann 1938 in Himmlers Erlaß zur »Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen der Rasse heraus«.

Bis zu 1.200 Sinti und Roma mußten in Marzahn leben. Den Insassen standen nur wenige, von anderen NS-Dienststellen ausrangierte Wohnbaracken zur Verfügung, viele mußten im Freien nächtigen. Die sanitären Verhältnisse waren derart schlecht, daß schon nach kurzer Zeit Krankheiten wie Scharlach, Tuberkulose und Diphterie zu grassieren begannen. Die Verpflegung der Sinti und Roma war unzureichend, die Erwachsenen mußten in den umliegenden Betrieben für einen Hungerlohn arbeiten. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden auch Kinder und alte Menschen zum Bombenräumen eingesetzt. Nur zu diesem Zweck durften die Sinti und Roma das Lager verlassen, beim Übertreten dieses Verbotes drohte KZ-Haft. Die Polizei war im Lager allgegenwärtig, Überlebende berichten von willkürlichen Verhaftungen und Mißhandlungen.

Zu welchem Zweck das Lager tatsächlich eingerichtet wurde, sollte sich bald zeigen. Bereits 1934 begannen NS-»Rassenforscher« mit der Totalerfassung der Sinti und Roma, die »Untersuchungen« wurden im Lager fortgesetzt. Die so gewonnenen »Informationen« sollten später zur fast vollständigen Vernichtung der Sinti und Roma führen. Schon 1938 begannen die ersten Transporte von Marzahn in das KZ Oranienburg, die meisten der Sinti und Roma wurden dann Anfang 1943 nach Auschwitz abtransportiert und wurden dort umgebracht. In Marzahn blieben lediglich rund 25 Personen zurück, die im April 1945 von der Roten Armee befreit wurden.

Obwohl das Lager Marzahn als eine Vorstufe des »Zigeunerlagers Birkenau« gelten kann, wurde dies von der Bundesregierung nie anerkannt. Marzahn galt nicht als KZ im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes, die Überlebenden bekamen keine »Wiedergutmachungs«-Zahlungen. Erst 1987 anerkannte zumindest der Westberliner Senat den Zwangscharakter des Lagers, nach dem Gesetz für politisch und rassisch Verfolgte erhielten die wenigen noch in Berlin lebenden Sinti und Roma eine Teilentschädigung. Auch die DDR tat sich schwer mit dieser Vergangenheit. Erst seit wenigen Jahren erinnert eine Gedenktafel auf dem Marzahner Friedhof an das Lager. 1990 würdigte das Marzahner Rathaus das Thema mit einer Ausstellung, seit einigen Tagen steht dort auch eine Gedenkplastik des Bildhauers Werner Stötzer. Theo Weisenburger