Angst vor Schlagzeilen über jüdischen Friedhof

Der Vorsitzende des Zenntralrats der Juden in Deutschland, Galinski, schlägt im Konflikt um den jüdischen Friedhof in Hamburg eine Umbettung vor/ Internationale orthodox-jüdische Verbände protestieren: Die Ruhe der Toten muß gewahrt bleiben  ■ Aus Hamburg Julia Kossmann

Ein städtebauliches „Filetstück“ an einer Hamburger Fußgängerzone droht den Zentralrat der Juden in Deutschland und orthodoxe jüdische Weltverbände zu entzweien. Seit Monaten wird um die Bebauung des von den Nazis weitgehend zerstörten und vollständig planierten jüdischen Friedhofs im Hamburger Stadtteil Ottensen gestritten. Die Hamburger Investorengruppe Büll & Liedtke will hier, wo derzeit Ruinen und Bauschutt herumliegen, ein auf 200 Millionen geschätztes Einkaufszentrum errichten.

Nach Protesten orthodoxer Juden, die aus aller Welt angereist waren, war der Bau Anfang März vorläufig gestoppt worden. Seitdem verhandeln auf Initiative von Heinz Galinski, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Vertreter orthodoxer jüdischer Verbände mit den Investoren. Die Gespräche sind am Mittwoch gescheitert.

Bauliche Lösungen des Konfliktes, wie die Überbauung des Geländes auf Stelzen, waren in den Gesprächen als unpraktikabel und zu teuer verworfen worden. Das bis Gründonnerstag geltende Angebot der Investoren, das Gelände gegen Ausgleich der bisherigen Baukosten von rund 50 Millionen Mark an die Orthodoxen, zum Beispiel an die Athra Kadisha, eine weltweite Organisation zur Erhaltung religiöser jüdischer Gedenkstätten, zu verkaufen, ist ebenfalls gescheitert. Die Jüdische Gemeinde Hamburgs hatte bereits am Dienstag mitgeteilt, daß sie so viel Geld nicht aufbringen könne.

Der Chef der Hamburger Senatskanzlei, Senator Thomas Mirow, der im Auftrag des Senats quasi als politischer Statist die Verhandlungen beobachtet, hatte den jüdisch-orthodoxen Gegnern des Bauprojekts Hilfe angeboten, falls diese den „Löwenanteil“ der immensen Kaufsumme aufbrächten. Daß der Senat als Käufer auftrete, sei jedoch ausgeschlossen, so Mirow.

Einen Rückkauf des Grundstücks sieht indes auch der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisch. Heinz Galinski: „Wenn wir 50 Millionen hätten, sollte das Geld eher den Lebenden zugute kommen als den Toten.“ Der Verkauf des Geländes in den 50er Jahren sei ein gravierender Fehler von Seiten der Hamburger Jüdischen Gemeinde und der Jewish Trust Corporation gewesen, weil die Transaktion nicht mit der Halacha, dem für die jüdische Religion verbindlichen Kodex, zu vereinbaren sei. Diesem Gesetz zufolge bleibe ein jüdischer Friedhof immer ein Friedhof.

Ebenso unstrittig sei aber auch, daß der Verkauf nach deutschem Recht als rechtsgültig anzusehen sei, so der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Galinski forderte von den jüdischen Organisationen, von Aktionen Abstand zu nehmen, die die Situation weiter verschärften — und begründete diese Haltung ausdrücklich mit den Ergebnissen der letzten Landtagswahlen: Es könne kaum im Sinne aller Beteiligten sein, durch die Auseinandersetzung den „im Lande erstarkenden destruktiven politischen Kräften“ politisches Kapital zu liefern. Deshalb schlug Galinski am Mittwoch eine Umbettung der gesamten Friedhofserde als mögliche Lösung vor.

Diesem Vorschlag stimmt jetzt auch der Hamburger Landesrabbiner Prof. Dr. Nathan P. Levinson zu. Am Donnerstag ließ er nach eingehendem Studium relevanter jüdischer Traditionsliteratur wissen, daß rabbinische Autoritäten im Falle einer unwürdigen Umgebung der Toten eine Überführung nicht nur gestatten, sondern sogar forderten. Und auch Senator Thomas Mirow begrüßte die Idee dankbar: „Die von Dr. Galinski formulierten Vorschläge zur Lösung des schwierigen Problems verdienen Respekt und Anerkennung.“ Die Umbettung scheint dem Senat schließlich die einfachste Lösung zu sein.

Die Jüdische Gemeinde Hamburgs, die sich in den Augen vieler Juden schuldig gemacht hat, weil sie 1950 dem Verkauf des Geländes an Hertie durch eine jüdische Treuhandgesellschaft zugestimmt hatte, bedauert den Fehler von damals. Aber der Standpunkt des heutigen Geschäftsführers Heinz Jaeckel bleibt auch nach den Protesten orthodoxer Juden aus aller Welt: „Wir haben nichts gegen die Bebauung zu haben.“ Trotz der bisher gescheiterten Verhandlungen bittet auch er, „von allen öffentlichen Aktivitäten Abstand zu nehmen“. Von den 1.300 heute in Hamburg lebenden Juden wußten viele bis vor kurzem gar nicht, daß auf dem Gelände hinter dem Hertie-Gebäude, auf dem im Zweiten Weltkrieg ein Luftschutzbunker stand, vormals ein jüdischer Friedhof war.

Der Londoner Verhandlungsführer Joe Löbenstein, der isrealische Rabbiner David Schmiedl, der englische Rabbiner Elyokim Schlesinger und der Schweizer Rechtsanwalt Berysz Rosenberg wandten sich am Mittwoch in einem offenen Brief an Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) entschieden gegen eine Umbettung und die indifferente Haltung des Hamburger Senats, der sich der Verantwortung entziehe, „daß das große Unrecht heute wiedergutgemacht wird“.

Der Friedhof sei 1663 von den Altonaer Juden gekauft worden, nun verlange der Senat von den Opfern des Holocaust, die Grabstellen ein weiteres Mal zu erwerben. Dies bedeute bei einem Preis von 50 Millionen — „ein Phantasie-Betrag“ — 12.500 Mark pro Grab.

Der Verkauf des Geländes im Jahr 1950 sei weder nach religiöser noch nach heutiger rechtlicher Auffassung rechtens gewesen. Während der Senat vorgebe, nach Lösungen des Konflikts zu suchen, habe die Bezirksverwaltung Altona erfolgreich die Aufhebung des Baustopps beim Oberverwaltungsgericht beantragt, so der Vorwurf der Sprecher aus London, Israel und der Schweiz.

Zudem sei der Senat der Hansestadt in der Vergangenheit auch anderen Investoren mit dem Angebot eines Ersatzgrundstücks entgegengekommen: Als sich 1988 zeigte, daß der Bau eines Musical-Theaters im Hamburger Schanzenviertel nicht durchsetzbar war, bot die Stadt der Firma Büll & Liedtke ein anderes Baugelände am Holstentorbahnhof zum Tausch an. Und so ähnlich müsse auch der gegenwärtige Konflikt beendet werden, fordern die orthodoxen Juden.