Als Genossenschaft ins 13. taz-Jahr

Als Genossenschaft ins 13.taz-Jahr

Unter den Hunderten von Briefen, die jeden Tag in der Berliner Zentrale der taz eintreffen, fand sich am Morgen des 15. April 1992 ein besonders wichtiges Exemplar. Der Kollege von der Telefonzentrale, der all die Päckchen, Karten und sonstigen Sendungen in die richtigen Fächer sortiert, deponierte den unscheinbaren Umschlag am vergangenen Mittwoch im „Genossenschaftsfach" des großen Post-Regales, das im Erdgeschoß des taz- Altbaus steht. Der Brief des Amtsgerichtes Charlottenburg enthielt das DIN-A3-große Eintragungsblatt der „taz, die tageszeitung Verlagsgenossenschaft o.G.“ in das Berliner Genossenschaftsregister. Dieses Dokument besiegelte endgültig, daß sich die taz nach 13 Jahren vom größten selbstverwalteten Betrieb Deutschlands in die einzige Tageszeitung der Bundesrepublik verwandelt hat, die von einer Genossenschaft herausgegeben wird.

An dem alten, abgeschabten nußbraunen Post-Regal im Erdgeschoß mit den 41 Fächern, auf denen vor langer Zeit Schilder wie „Ausland, Kultur, Frauen“ oder „Leserbriefe“ angebracht wurden, spiegeln sich die Veränderungen der taz wieder. In den vergangenen Monaten kamen neben dem Fach „Genossenschaft“ noch einige andere hinzu. „Betriebsrat“ ist neuerdings unten links zu lesen. Der Name des oben links gelegenen Faches wurde in den vergangenen fünf Jahren dreimal geändert. „Freigestellte Redakteure“ hieß es noch, als das Regal noch im taz-Domizil in der Weddinger Wattstraße aufgestellt war. Nach dem Umzug der Zeitung in die Kreuzberger Kochstraße wurde dieses Schild mit der Aufschrift „Redaktionsleitung“ überklebt. Seit ein paar Monaten heißt es dort unmißverständlich „Chefredaktion“.

Der Brief, der am 15. April in der Kochstraße 18 eintraf, markiert eine Wende in der taz-Unternehmensgeschichte. Aus dem Kollektivbetrieb, dessen Corporate Identity sich im Chaos minimierte, ist nun — wenn man die Beschriftung der Regalfächer nicht für eine geschicktes Camouflage hält — ein in seiner Organisationsstruktur konventionelles Unternehmen geworden.

Der Weg dahin war alles andere als leicht. Im Herbst vergangenen Jahres tobte im „Verein der Freunde der alternativen Tageszeitung“ — dem alleinigen Eigentümer der taz — ein erbitterter Streit darüber, wie eine Professionalisierung der Strukturen erreicht werden könnte. Die einen — und zu denen gehörte auch der Autor — wollten die taz in eine GmbH verwandeln, um aufgeklärten Investoren die Möglichkeit zu geben, große Summen in der taz anzulegen. Die anderen befürchteten, dies würde das Ende der demokratischen Strukturen und einen inhaltlichen Ausverkauf der Zeitung bedeuten. Sie wollten die Zeitung in eine Genossenschaft verwandeln und mit der Hilfe der Leserinnen und Leser wieder solvent machen. Zwei Drittel der Belegschaft votierten Ende November für die Genossenschafts-Lösung, inzwischen haben 2107 Menschen insgesamt 3,46 Millionen Mark in die taz investiert. Die Leserinnen und Leser lassen die taz also nicht hängen. Was tun wir, um die Leserinnen und Leser nicht hängen zu lassen?

In der taz wurde noch nie so intensiv an der Verbesserung des Produktes gearbeitet, wie es zur Zeit der Fall ist. Vor kurzem wurde ein Redaktionsstatut unterzeichnet, das die inhaltlichen Rahmenbedingungen der Arbeit der Redaktion sowie ihre Rechte und Pflichten festlegt. Dieses Statut wurde im vergangenen Herbst wortgewaltig von der Redaktion eingeklagt. Nun hängt es an der Wand und verstaubt in den Schubladen. Eine einzige Redakteurin studierte den letzten Entwurf sorgfältig und bemerkte, daß durch ein Versehen ein wichtiger Absatz, der die Quotierung festschrieb, herausgefallen war. Den taz-Redakteurinnen und Redakteuren ist formale Beschreibung ihrer Arbeit momentan ziemlich unwichtig. Viel wichtiger ist, wie das Blatt von morgen aussehen soll, welche Recherchen noch erledigt und welche Texte noch redigiert werden müssen.

Ich wage die Behauptung: Zum ersten Mal in der Geschichte der taz konzentrieren sich die internen Diskussionen nicht mehr auf eine permanente, kollektive Selbstvergewisserung, sondern auf die Qualität des Blattes. Das ist der bisher positivste Effekt der neuen Unternehmensstruktur. Es ist — von der Chefredaktion abgesehen — nicht mehr Aufgabe der Redaktion, die Unternehmenspolitik zu gestalten. Diese Arbeitsteilung erleichtert sowohl der Redaktion als auch der Geschäftsführung ihren Job.

Auch der Betriebsrat, dessen vornehmste Aufgabe eigentlich die Vertretung der Arbeitnehmerinteressen ist, hält „die Qualität der Zeitung für das wichtigste überhaupt". Dieses Credo wird Auswirkungen auf künftige interne Konflikte haben. „Falls Planstellen reduziert werden sollen, beißt die Geschäftsführung bei uns aber auf Granit!" warnt die Betriebsrätin und Lokalredakteurin Anita Kugler. Vor einem Jahr waren bei der taz noch über 200 Menschen beschäftigt, nach dem Ende der Sanierung sollen es 150 sein. Das Plansoll der Redaktion von 75 Stellen ist noch nicht erreicht — nach dem Wunsch der Geschäftsführung sollen noch mindestens vier Redaktionsstellen abgebaut werden.

In der Geschäftsführung arbeitet seit dem 2. April Annette Schöler und ist dort für Marketing zuständig. Gerade dieses Feld wurde lange Zeit von der taz sträflich vernachlässigt. Annette Schöler will nun unter anderem die AbonnentInnen demnächst mit Extra-Gratifikationen für ihre Treue belohnen, beispielsweise einer vierfarbigen Karte der GUS- Staaten. Die neue Geschäftsführerin hat auch angekündigt, sich mit der Redaktion anzulegen: Sie hält die Zeitung noch immer für viel zu leserunfreundlich, möchte das Serviceangebot im Blatt erhöhen. Die Redaktion wird sich dieser konzeptionellen Debatte nicht entziehen können.

Während die Stimmung in der Redaktion weitgehend gut ist, hält sich die Begeisterung über die neuen Strukturen in der Technik und im Vertrieb dagegen in Grenzen. Für die hier tätigen KollegInnen ist der Arbeitsalltag härter und stressiger geworden. Auch sie verdienen nach der Aufhebung des Einheitslohnes jetzt mehr. Das große Pech der nichtredaktionellen MitarbeiterInnen: Technische Arbeitsabläufe sind leichter rationalisierbar als redaktionelle Tätigkeiten. Der Anspruch der Gerechtigkeit wird diese Firma, die so lange keine sein wollte, weiterhin beschäftigen. Claus Christian Malzahn