Das leichte, lockere Ganze

■ Johann Strauß' Operette »Eine Nacht in Venedig« in der Komischen Oper

Die Hauptstadt ist dem Kalender ein wenig hinterher. Ostersonnabend feierte man Karneval. Zwar nur auf der Bühne und im fernen Venedig, aber der Stimmung trat das keinen Abbruch. Regisseur Friedrich Meyer-Oertel, sein Ausstatter Richard Heinrich und sein Kapellmeister Gabriele Bellini drehten ihre Bühnen-Italiener mit Lust und Fingerspitzengefühl zum Wiener Walzern an. Dank Johann Strauß' Balance zwischen dem, was heute sorgsam in U- und E-Musik geschieden ist, und dank der aus Felsensteins Tagen herübergeretteten Dramaturgensorgfalt kam tatsächlich etwas anderes zustande als schnöde Operette: Heiteres Musiktheater mit halbwegs schlüssiger Handlung und mit Figuren, die sogar psychologisch begreifbar sind.

Nachdem sich der Anfang etwas mühsam durch volkskünstlerisch- geschmackvolle Marktszenen gepusselt hat, beginnt die Atmosphäre zu schweben. Eine Traum- und Maskennacht fordert ihre Rechte auf Undurchschaubarkeiten ein. Die Unwirklichkeit gründet sich auf vielfach gebrochene Illusion: auf die gespielten Libertinagen mit angeblich unter Masken nicht erkannten Frauen und Männern, mit Personen, die, endlich demaskiert, doch nicht das sind, was sie scheinen.

Als Friedrich Zell und Richard Genée Johann Strauß auf das schwächere Venezianische Libretto aus ihrer Serienproduktion ansetzten (das bessere, polnische bekam der schwächere Komponist Millöcker) hatte sich die Serenissima an der Lagune längst zum morbiden Sehnsuchtsgebilde für Künstler, Träumer und Intellektuelle aufgelöst. Wenn der Karneval in der Oper zu Ende geht, schwimmt denn auch ein leuchtend grüner Fisch über San Marco dahin.

Aber sogar das Kulissen-Venedig ist noch die Maske, hinter der das Wien hervorklingt, das mit Melancholie und Tod seit je auf trautem Fuß steht. Nicht leicht, all diese Diffizilitäten hinter den Duetten und Canzonetten hervorzuholen. Komm in die Gondel... Am Schluß kommt nichts zum Schlusse, all die reizenden Täubchen von San Marco lehnen es ab, ihre naturgegebene Ironie zu unterdrücken. Man wird sich weiter um Fisch, Zwiebeln, kleine Münze und größere Liebe streiten.

Damit auch dies nicht plumpe Wahrscheinlichkeit wird, hat die Regie ein venezianisches Naturwunder bemüht: Marcusplatz, Rialtobrücke und Gondeln versinken im Schnee. Und sogleich schlittert ein Pinguin über den glitschigen Marmor. Eine maskierte Taube vermutlich.

Noch einmal Felsenstein: Am besten vermochte sein alter Mime Hans-Otto Rogge als gefürchteter und geliebter Karnevalsgast Graf Urbino diese Stimmung zu erzeugen. Ein Blick, eine halbe Drehung des Kavaliers, und schon war alles so ernst gemeint, wie man es zu nehmen hatte: der alljährliche Karnevalstrip zur weiblichen High-Society der stolzen Republik und die Verwechslung derselben mit dem Personal, überhaupt der ganze biedere und betuliche Charme dieses wohlsituiert seßhaften Saison-Casanova. Auch schlug sich Herr Rogge achtbar durch seinen Gesangspart. Sabine Paßow ist derzeit auch als gefeierte Michaela und als Figaro-Gräfin in der Komischen Oper zu hören und tat hier einiges zur Aufwertung des Fischermädchens Annina.

Insgesamt wurde mit derselben Sorgfalt musiziert wie dramaturgiert, ausgestattet und gespielt. Mit operngemäßer Akkuratesse im Detail, die am Ende das leichte, lockere Ganze ergibt. Der Italiener Bellini setzte seinen Dirigenten-Ehrgeiz weniger darein, die Wiener Philharmoniker in ihrem Schmäh vom Neujahrsmorgen zu übertreffen, als vielmehr in die Mühe, Spritzigkeit und Luftigkeit zu erzeugen, Bühne und Graben bei soviel Aktion beieinanderzuhalten. Das gelang. Dankenswerterweise enthielten sich die Sänger konsequent schluchziger und neckischer Operettenallüre.

Jede Menge Geschmack, sorgsamst erarbeitete Selbstverständlichkeit der Aktion, das Auge entzückender Überfluß von Kostümen und Requisiten: eine Menge Kunst für ein gutes Stück. Alles ist da, man geht gut gelaunt aus dem Theater, sogar noch in der Pause von venezianischen Canzonetten wohl unterhalten.

Nur wer den gewissen Hautgout der Operette möchte, dieses kleine Spürchen Theaterschlamperei und Nicht-ganz-ernst-Nehmen der Sache, der suchte vergeblich. Irene Tüngler