Jenseits von Gut und Böse

■ John Miller bei Bruno Brummet Fine Arts und in der DAAD-Galerie

Es liegt in der Natur des Künstlers, nach der Hand zu schnappen, die ihn füttert. Manche bringen dabei die Beißwut eines Bullterriers auf, andere apportieren lediglich den ihnen zum Fraß vorgeworfenen Knochen.

John Miller stellt gleich an zwei Orten aus, die im Kunstbetrieb als satisfaktionsfähig gelten. Einer Beleidigung des guten Geschmacks, die seinen Arbeiten von seiten der Kritik begeistert attestiert wird, beugt der New Yorker DAAD-Stipendiat vor, indem er die Objektivation der provozierenden Ausdrucksform vorantreibt. Das scheißfarbene »Miller- Braun« wirkt auf der symbolischen Darstellungsebene als Ordnungsprinzip, durch das er die Eindrücke seines Berlin-Aufenthalts reflektiert. Er bleibt damit im Rahmen des Diskurses, den vor allem die Kunstwelt beherrscht: »Nach der Orgie« wird das Konsumierte wieder ausgeschieden; werden die Zeichen nicht mehr reproduziert, sondern verarbeitet (und) zur Schau gestellt. Sicherlich eine richtige postkonzeptuelle Haltung.

Doch erst in der Verpackung wird aus Scheiße Kunst. Piero Manzoni hatte 1961 bereits sein eigenes Exkrement in Dosen abgefüllt und den glorifizierten Scheinwert des Kunstwerks von Warenwelt und Wirklichkeit geschieden. So etwas würde John Miller jedoch niemals tun, da ihm die Auflösung des Widerspruchs von »Kunstaura und Warenzauber« im New Yorker Galeriealltag eingebleut worden ist. Koons-Kitsch und der ganz gewöhnliche Ikonoklasmus der United Colours of Bennetton. Die von Miller benutzte braune Masse maskiert kleine Trash-Allegorien und Massenimages bedeutungsvoll. Ein wie mit Schlick überzogener, hingestreckter Frauenkörper wird gelitten haben; kleine Faller-Häuschen und Miniaturtannen unter einer amorphen Gußschicht wollen die Apokalypse näherbringen. Und dem deutschen Publikum dämmern bei in Braun getunkten Plastikschwertern die Götter.

Voll Pathos schiebt Miller das Reale ins Zeichenreich ab, während die Handschrift des Künstlers zum allanwesenden Inhalt des Dargestellten aufgewertet wird. Der Horror kommt einer ganz und gar persönlichen Angelegenheit gleich. Eine eher impressionistisch anmutende Lyrik, die dem Betrachter die undankbare Rolle des betroffenen Resteverwerters überläßt.

Im Berliner Müll hat nun auch der Künstler Reste aufgestöbert und in ein Bild verwandelt, das jetzt in der Galerie »Bruno Brunnet Fine Arts« hängt. Die Schultheiß-Dosen, die Miller benutzt, kommen ihm ausgestellt schon wieder fremd vor. »Die werden in einer New Yorker Galerie sehr exotisch wirken«, ahnt der Analytiker des Abfalls, der eine Coca-Cola-Büchse mit Kennerblick als deutsches Produkt enttarnt. Die Fähigkeit, Dinge unter der Oberfläche zu verbergen, fasziniert Miller an Deutschland sehr: Rassismus, Armut, unerfüllte Sexualität, die sich wild in anonymen Kontaktanzeigen auszuleben weiß. Als Dandy der späten Moderne saugt Miller heftig an den Stellen, wo es am meisten stinkt. Gummis hat er dennoch lieber unbenutzt in der Drogerie gekauft, um sie in das Materialbild »Transsylvania Choo-Choo« einzukleben. Oben Schädel, unten Fußpaare in Fickstellung — det is Berlin, mit den Augen eines Amerikaners betrachtet, für den »die Deutschen sich im großen und ganzen immer noch abmühen, das Konzept der Identität Wirklichkeit werden zu lassen.« Für ihn gilt: Die Form bestimmt, wie Fragen gestellt werden müssen.

Vor der Galerie steht ein bewaffneter Polizist im Einsatz, wichtigtuerisch mit Walkie-Talkie. Warum, fragt ein Besucher in die Galerie hinein. Um Gäste zu schützen? Um Kunst zu schützen? Nein. Um Hütchenspielern aus den Hinterhalt des Hofes in der Wilmersdorfer Straße heraus das Handwerk zu legen. Einige lachen über das Vexierspiel der Ordnungshüter und freuen sich auf den Wein, der in den Räumen des DAAD ausgeschenkt werden soll.

»Rock Sucks Disco Sucks« hat Miller als Motto für beide Ausstellungsteile vorgegeben. Zu Hause liegen wahrscheinlich Bücher von Eco, Freud und der »American Psycho« von Bret Easton Ellis auf dem Nachttisch. Der Künstler geht mit guten Vorsätzen ins Bett und träumt, was er am kommenden Tag abarbeiten wird. »Live Sucks« und Death auch... Harald Fricke

Bis zum 3. Mai in der DAAD-Galerie, bis 25. April bei Benno Brunnet Fine Arts