Sein und Design

■ Berliner Hochschulprofessor ruft seine Studenten in die Werkstatt zurück

Wenn — beispielsweise — BMW mit einer Zeitungsanzeige seine Fahrzeuge in die Werkstatt zurückruft, sind meistens irgendwelche Schrauben locker. Oder Bremsen kaputt, was bedauerlich ist, aber nicht so schlimm wie ein Blick — beispielsweise — in die Sanitärabteilung des nächsten Kaufhauses. Tagelange Depressionen können die Folge sein: Lebensgefährliche Haken, an denen alles, nur kein Handtuch hängen bleibt, Seifenschalen für die letzte Ölung liegen bereit, und keine dafür zuständige Firma hat bisher den Mut gehabt, das Zeug zurückzurufen.

Aber wir lernen dazu und brechen ein Tabu. Es betrifft die Anzeigenabteilung: Wir schaffen das Umfeld und müssen deshalb Hans Roericht in die Erinnerung zurückrufen, der in Ulm ein Atelier für Design betreibt. Kein Zufall: Roericht ist Schüler von Ottl Aicher, dem Vater der Ulmer Moderne, hat ein stapelbares Geschirr entworfen und »ein Stühlchen«, wie er sagt. »Spagatprofessor« nennt er sich selbst, weil er an der Berliner Hochschule der Künste eine Klasse leitet.

Wir sehen, der Mann hat Witz, und gehen zur Anzeigenabteilung hinüber. Roericht hat in allen wichtigen Zeitungen, daher auch in dieser, einen Text auszugsweise folgenden Inhalts schalten lassen: »Die Fachgruppe ID 4 an der Hochschule der Künste Berlin möchte die ehemaligen Studierenden bitten, sich zu melden. Ziel dieser Rückruf-Aktion ist es, die Lehr/Bildungsinhalte auszuwechseln, die besonderem ideologischem und professionellem Verschleiß ausgesetzt waren (und heute zur Gefährdung anderer führen könnten).«

Recht hat er, kommen wir also zum Umfeld. Redaktionelle Recherchen ergaben, daß es nicht um die — beispielsweise — Depressionsminderung in Sanitärabteilungen der nächsten Kaufhäuser geht. Sondern umgekehrt. Das Übel sitzt in den Hochschulen, weniger in Berlin, wo Roericht auf einem Bein steht, als vielmehr sonst in der allgemein verblödeten Hochschullandschaft. Dort und nicht bei den Firmen, die trübe Tassen verkaufen, werde die »Reaktion von Morgen« herangezüchtet, folgert der Professor schriftlich aus der Lage, die er kennt.

Mit Workshops will er sie verbessern, Berufspraktiker sollen die Lehrenden zur Einsicht bringen. Auch das haben wir Betroffene jetzt verstanden und freuen uns, daß die Berliner Hochschule da ganz offen sei, auch wenn sie die Rückrufanzeige noch nicht selbst bezahlt hat. Design ist Sein im Ganzen, »es hat keinen Sinn, die Welt mit Dingen vollzustellen«, sagt Roericht, vor allem dann nicht, wenn es ohnehin »nur einen Toaster gibt — und der wird in Jugoslawien hergestellt«.

Das muß fürs erste reichen als Umfeld, wir wollten Hans Roericht berücksichtigen und hängen das letzte jetzt einfach noch so dran, damit wir eine Perspektive sehen: »Ich sehe Design gern als methodisch einmaliges und raffiniertes Jahrhundertereignis, eine Disziplin, wie gerufen als holistisches Problem-Lösungs-Instrument anzutreten.«

Beim Durchlesen fällt uns nun doch auf, daß das Problem des ideologischen Verschleißes zu kurz gekommen ist. Daran arbeiten wir noch in Erwartung einer Rückrufanzeige von BMW. Wenn da wieder Schrauben locker sind, kann das sehr gefährlich werden. Aber das schaffen wir schon. Niklaus Hablützel