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Vexierspiele

■ Konzert des Ensembles »Work in Progress« in der Philharmonie

Opernstoffe, das ist ihr großer Vorteil, erlauben es den Musikern, prächtig am Text entlang zu komponieren. Auch Mayako Kubo nutzt diese Chance: vergangenen Mittwoch brachte im Kammermusiksaal der Philharmonie das Ensemble »Work in Progress« unter der Leitung von Gerhardt Müller-Goldboom die Masago-Lieder der Komponistin zur Uraufführung — im Rahmen eines Programms mit Stücken von Giacinto Scelsi, Sylvano Bussotti, André Richard und Nicolas A. Huber. Obwohl die Besetzung des dreiteiligen Werkes — Mezzosopran und Kammerorchester — an Orchesterlieder denken läßt, handelt es sich um eine verborgene Oper. Die Story, auf der auch Kurosawas Film Rashomon basiert, liegt dem musikalischen Geschehen zugrunde: Masago, eine junge Frau, wird von einem Räuber vor den Augen ihres Gemahls vergewaltigt. Auch der Ehemann stirbt eines gewaltsamen Todes, wobei — seltsam genug — alle drei Figuren Täter sein wollen.

Kubos drei Lieder fassen die Gründe und Motivationen der Personen in eine je charakteristische Klangsprache. Der Räuber behauptet, den Mann getötet zu haben, weil er Masago liebt, die Musik evoziert triebhafte Leidenschaft durch ruppige Klanggebärden. Tonskalen jagen einander und stacheln sich gegenseitig zur immer heftigeren Hetze an. Plötzlich ein feierlicher Pedalton. Stille. Da hebt die Mezzosopranistin zu sprechen an. Leider trifft sie den dramatischen Ton ruhiger Bitterkeit nicht, der hier gefordert wäre. Der Text war zu verstehen, aber dies: »Einer von euch muß sterben!« klang so wuchtig wie ein Kochrezept. Glücklicherweise holte die Sängerin, was beim Deklamieren nicht gelang, singend mit klarer und ruhiger Stimme, wieder nach.

Der Ehemann behauptet, Selbstmord gemacht zu haben (er spricht durch die Stimme einer Wahrsagerin). Auch dieses zweite Lied fordert zum Töten auf: Diesmal sind die Streicher knapp überfordert. Was schrill, zornig, exaltiert hätte klingen müssen, ergoß sich in einem etwas weinerlichen, zirpenden Klang. Schließlich will auch die Geschändete selbst ihren Mann umgebracht haben, in der festen Absicht, anschließend Selbstmord zu begehen, was dann aber unterbleibt. Diese (imaginäre) Szene ist fast zärtlich angelegt, die Instrumente folgen einander mit arabesken Verschlingungen. Die Komponistin hat durchgehend mit operntypischen Mitteln und Charakteren gearbeitet: Vorspiel, Rezitativ, Zornesarie, kaltes Entsetzen — ohne Scheu vor großen Gefühlen oder dramatischen Effekten zu haben. Daß dabei einige Klangenergie entfesselt wird, scheint vor allem Ausdruck eines vehementen Naturells zu sein.

Nicolaus A. Huber hat in seinem Ensemblestück Air mit »Sphinxes« (1987) Kompositionsprinzipien miteinander verknüpft, die aus zwei sehr verschiedenen Traditionen stammen: In Schuhmanns Carnaval op. 9 finden sich zwischen der achten und neunten Miniatur drei merkwürdige Gebilde: im Baßschlüssel notierte Breven, deren Notennamen in unterschiedlicher Weise das Kryptogramm »A.S.C.H.« ergeben. Dies sind die Sphinxs, die das Rätsel stellen, das der Versteckkünstler Schuhmann in seinem gesamten Zyklus aufgibt. Hier steht es in nacktester Form, bar jeder Angabe von Rhythmus, Dynamik, Tempo, in reiner Körperlosigkeit. Auch John Cage liebt solche Kahlheiten. Seine Cheap Imitation besteht aus einer einstimmigen, unbegleiteten Melodie, die aus Stücken von Eric Satie zusammengewürfelt ist. Sie wird, in der Orchesterfassung, von Instrument zu Instrument weitergegeben.

Huber hat beides verbunden. Seine Air mit »Sphinxes« ist eine einzige Melodie, deren 77 Töne jedoch in wechselnden Graden hinter raffinierter Instrumentierung verborgen sind. »Ich habe versucht den einzelnen Tönen ein eigenes Gesicht zu geben« (Huber). Zwischen solistischer Einstimmigkeit und breiten Klangflächen oder homorhythmischen Klangblöcken durchläuft die Melodie viele Stadien unterschiedlicher Deutlichkeit. Ein Vexierspiel.

Mag der Grundgedanke des Stückes traditionelle Kompositionsprobleme betreffen, die Verfahren, die zur Anwendung kommen, sind typisch für Huber: Prozesse brechen abrupt ab und werden wie in Filmschnitten hart kontrastiert. Der hythmus dominiert in verschiedenen Formen, mal als insistierende Repetition von Tönen, die durch Akzente oder dynamische Auf- und Abblenden belebt werden, dann als uniforme Bewegung aller Instrumente oder als komplementäres Gewebe.

Air mit »Sphinxes« ist als Repertoirestück mittlerweile im Programm einiger Ensembles und kann daher als Prüfstein für die Interpreten gelten. Die Anforderungen sind hoch, die Tugenden des Klangfarbenmelodiespiels wollen beherrscht sein, wenn die feinen Übergänge und delikaten Nuancen nicht zum Holzschnitt geraten sollen. Das Ensemble Work in Progress hat eine nur teilweise befriedigende Interpretation abgeliefert. Einerseits klangen einige Partien sehr homogen und gut durchgehört, waren Akzente präzise und mit der nötigen Wucht auf den Punkt gebracht. Andererseits zerbröckelte manche solistische Passage, die zwar richtig gespielt, aber nicht gestaltet war — das führte manchmal (paradoxerweise) zu forcierten Pianissimi. Das Stück hätte durch Himmel und Hölle führen können, es blieb aber auf dem Teppich. Doch da stand es insgesamt nicht schlecht. Frank Hilberg

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