Ikebana on stage

■ »Close up of Japan« mit Kodo Trommlern und japanischer Tanzavantgarde

U-Bahn in Tokio: die Sperre zum Eintritt in dieses weitverzweigte Labyrinth ist in der Hochburg der Mikroelektronik bemannt: mit stoischem Blick knipst ein mandeläugiger Schaffner die dargebotenen Kärtchen, ein weiterer sammelt sie beim Rausgehen wieder ein. Einen Monat lang bin ich in Tokio schwarzgefahren, mindestens zweimal täglich habe ich meinen Blondschopf im Strom der schwarz- und glatthaarigen Mitpassagiere an den Männern in Blau vorbeigedrückt, ohne daß einer von ihnen mich auch nur angesehen hätte. Dieses Volk von Strebern, wo niemand schwarzfährt, obwohl das Busticket vom Flughafen bis in die Innenstadt 50 DM kostet, hat mich einfach aus der Fassung gebracht: frohen Herzens arbeitet man in Japan täglich zwölf Stunden für die Firma, in zehn Tagen Urlaub pro Jahr erledigt man ein Kulturprogramm von mindestens einer europäischen Hauptstadt täglich plus der romantischen Straße im deutschem Süden, und die Spiegel im Supermarkt hängen dort nur wegen der Ausländer.

Inder, Südamerikaner und selbst die fanatischen Araber — wie leicht fällt das Verständnis ihres Innenlebens, wenn man es einmal mit einem Japaner zu tun hatte. Ob sich hinter der indifferenten Höflichkeit feiges Obrigkeitsdenken oder ein in nirvanischen Sphären weilendes Bewußtsein verbirgt, konnte ich während meines halbjährigen Japanaufenthalts nicht endgültig in Erfahrung bringen.

Wie der Name schon sagt, Close-up of Japan will Annäherung, will der Welt die japanische Kultur vorstellen und verständlich machen, will zeigen, daß der ostasiatische Industriestaat nicht nur im Bereich der Mikroelektronik die Superlative für sich gepachtet hat. Ein sparsamer Ausschnitt des kulturellen Erbes wird da zum Beschnuppern freigegeben, nur die absoluten Highlights dürfen den Sprung über den Ozean wagen, sind sozusagen kulturexportfähig. Dem europäischem Japanklischee getreu, ist die Wirtschaft Sponsor dieser Veranstaltung, genauer gesagt das Mitsui-Public-Relation Comitee, das insgesamt 34 Firmen vertritt. Nach Worten des Präsidenten Yahiro ist Close-up of Japan keine Werbekampagne. Lediglich hehre kulturkosmopolitische Ziele seien der Grund für eine Spendierfreude, die den nichtsahnenden Besuchern am Eröffnungsabend in der Philharmonie ein ausladendes Buffet serviert. Und tatsächlich, der Name Mitsui drückt sich im Faltblatt zum Festival eher dezent neben den deutschen Veranstaltern, dem Bauhaus Dessau und der Berliner Stadtbibliothek auf der Rückseite herum. Der wahrhaft Große ist eben großzügig, im übrigen auch eine der Tugenden aus dem verwirrenden japanischen Verhaltenskodex: wer nicht gerade im westlergewohnten Tokio weilt, wird auf Schritt und Tritt von wildfremden Insulanern eingeladen und beschenkt. So bessert man das Karma für kommende Inkarnationen auf und schafft als Wirtschaftsboß westliche Akzeptanz für den Vorsprung der ostasiatischen Konkurrenz.

Zur Eröffnung des Festivals am vergangenen Montag gaben die Kodo Trommler von der Insel Sado ein bereits seit Wochen ausverkauftes Konzert mit dem Jazzpianisten Yamashita. Die Truppe sorgte bereits 1981 für Furore in der Stadt. Mit der Verteilung der diversen Taikos bis hin zur mannshohen O-Daiko auf der Bühne der Philharmonie praktizieren die fernöstlichen Meister der Ästhetik Ikebana on stage. Kodo heißt Herzschlag, bei Betonung auf der ersten Silbe aber auch Kind der Trommel. Der Herzschlag, den das Ungeborene im Mutterleib hört, hier wie ein leicht angeglichener Swing gespielt, stand Pate für fast alle Pattern. Was das Tempo angeht, scheint die Schwangere allerdings gerade eine Übung aus dem Profisport zu absolvieren.

Und unter Hochleistungssport läuft in unseren Breiten auch, was die neun Spieler auf der Bühne der Philharmonie treiben: mit einer für Musiker absolut phänomenalen Bühnenpräsenz posieren sie in diversen schweißtreibenden Beinstellungen aus dem Karate. Jeder, der mal was für seine Bauchmuskeln getan hat, dürfte eine vage Vorstellung von der Kraftanstrengung haben, die ein im Liegen zwanzig Zentimeter über dem Erdboden schwebender Oberkörper verursacht. In dieser Position minutenlang in äußerster Präzision ein Trommelfell zu prügeln — da ist schon eine Portion Samuraibewußtsein vonnöten. Nicht nur in Sachen Selbstdisziplin haben wir hier einen typisch japanischen Exportartikel vor uns. Ein weiteres Markenzeichen der Väter des Zen besteht im Zurücknehmen des Individuums gegenüber einem hochangesiedeltem gemeinschaftlichem Ideal. Im heutigen Japan ist das die Company, auf der Bühne der Philharmonie ist es das in totaler Übereinstimmung erzielte Klangprodukt. Das Konzert lebt von dieser Energie, stehende Ovationen geben beredtes Zeugnis von der Faszination der Zuschauer.

Eine Legende von internationalem Rang ist der mittlerweile 85jährige Buthotänzer Kazuo Ohno. Butho erfreut sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit im europäischen Raum. Mit provozierenden Darstellungen und fast nackten, weißbemalten Körpern zeigt das indifferente Japan hier seinen wohlbehüteten Stachel. Kazuo Ohnos Auftritt mit seinem Sohn Yoshita in der Akademie der Künste allerdings fällt erstaunlich zahm aus. Sein jüngstes Stück, Ka Cho Fu Getsu (Blume-Vogel-Wind- Mond) wurde als Auftragsarbeit der italienischen Stadt Cremona im Mai 1990 uraufgeführt und behandelt die Person des Geigenbauers Stradivari. Mit verwirrenden Szenen taucht Ohno seine Seele in die Stimmung dieser Stadt, zumeist als Frau gekleidet: mal im Barockkleid mit endlos langer Schärpe, dann im kurzem Samtrock mit weißer Schleife im schütteren Haar, aber auch als nackter Greis, der mit einem dicken Seil einen kleinen Tisch hinter sich herschleift. Mythische Szenen aus entlegenen Bereichen des Unterbewußtseins, die vom Zuschauer auch nur intuitiv erfaßt werden können. Sein Sohn fristet ein etwas trauriges Dasein als Lückenbüßer. Ganz unjapanisch genießt Ohno das Bad im Applaus und geht nicht von der Bühne, ohne zwei Zugaben untergebracht zu haben.

Close-up of Japan wartet noch mit zwei weiteren aufsehenerregenden Tänzerinnen auf, Kuniko Kisanuki am 23. und Anzu Furukawa am 25. und 26. April in der Akademie der Künste. Da die beiden bislang von keiner Legende leben, werden hochgesteckte Erwartungen voraussichtlich erfüllt. Interessantes verspricht auch die Graphic Design-Ausstellung in der Stadtbibliothek Berlin, die Werke von insgesamt fünf Generationen japanischer Kunst präsentiert. Jantje Hannover

»Another« — Eine Choreographie der Tänzerin Kuniko Kusanuki Do. um 20 Uhr im Studio der Akademie der Künste