Worte aus Stein

NS-Bauten: Ihre Ästhetik und Dauer  ■ Von F.J.Bröder

Hitlers „Worte aus Stein“, als die der Führer seine monumentalen Architekturen apostrophierte, sprechen heute noch eine beredete Sprache. Ihre Relikte in Nürnberg, Berlin, München und auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden, alljährlich Ziel Tausender von TouristInnen aus dem In- und Ausland, lösen auch heute noch heftige Kontroversen aus — wie etwa vor Jahresfrist, als die Nürnberger Kulturreferentin Karla Fohrbeck vorschlug, Nürnberg, einst die „Stadt der ,Reichsparteitage‘“, zur „Wächterstadt“ zu ernennen und das ehemalige „Reichsparteigelände mit einem Friedenshain und testamentarischen Sprüchen auf Panzerglastafeln auszustatten.

Daß sich gerade in Nürnberg die Diskussion um den Umgang mit den monströsen NS-Relikten immer wieder entzündet, liegt daran, daß dort neben dem Torso der „Kongreßhalle“, die nach des Führers Willen von seinem Chefarchitekten Speer als größte Hallenarena der Welt errichtet werden sollte, heute noch die gigantische Tribüne des „Reichsparteitagsgebäudes“ mit „Führerkanzel“ und „Goldenem Saal“ steht. Darin unterhält das Pädagogische Institut der Stadt Nürnberg seit Jahren die vor allem für die Touristen aus aller Welt gedachte Dokumentation Faszination und Gewalt, die nicht nur über die architektonisch „inszenierte Ideologie“ der Nationalsozialisten informiert, sondern auch über ihre Verbrechen, wie etwa die „Nürnberger Rassengesetze“ und die damit legalisierte Verfolgung und Vernichtung der Juden. Jetzt haben Bernd Ogan und Wolfgang W. Weiß, beide am Pädagogischen Institut tätig, eine eindrucksvolle Publikation zur „politischen Ästhetik des Nationalsozialismus“ vorgelegt, die mehr als den Begleitband zu dieser Nürnberger Dauerdokumentation darstellt.

Galt München als Stadt der Erhebung, so mußte Nürnberg als die „Stadt der Reichsparteitage“ für die gigantische Selbstdarstellung der Nazis herhalten. Dort präsentierte sich der Faschismus den jubelnden Volksgenossen in seiner ganzen Pracht und Macht, ebenso beeindruckend für seine Anhänger wie bedrohlich für seine Gegner. Leni Riefenstahls Parteitagsfilm Triumph des Willens tat ein übriges, dieses ritualisierte Massenspektakel im ganzen Reich zu glorifizieren — und mit welch raffinierten Mitteln er dies tat, führt der Beitrag über die „Zeichensprache“ der Hitler-Regisseurin vor. In weiteren Aufsätzen geht es aber auch um Albert Speers Architektur als Weltanschauung, etwa um die „gigantische Fehlkonstruktion“ des „Deutschen Stadions“ um das „Rasseprinzip im Nürnberger Musikleben“ zu Zeiten der Nazis, um die „figurative NS-Plastik“, deren kraftstrotzende Nacktheit der elenden Nacktheit der KZ-Opfer konfrontiert wird.

Film und Kunst, Musik und Literatur im Dienste der Propaganda: Die Durchdringung des Lebens durch den „alltäglichen Faschismus“ dokumentiert der Band ebenso wie er die gigantomanischen „Glanzleistungen“ der Nazis vor Augen führt. Sie haben als Architektur überlebt, Steine des Anstoßes wie — in Zeiten blinden Ausländerhasses — Anschlagtafeln der reaktionären Zustimmung wie etwa Hakenkreuzschmierereien auf dem ehemaligen „Reichsparteitagsgelände“ beweisen.

Der letzte Teil des facettenreichen Bandes setzt sich mit den verschiedenen Positionen auseiander, wie mit der NS-Architektur heute umzugehen sei: Die Ruinen und Relikte zu romantisch anheimelnden Idyllen überwuchern lassen? Sie restaurieren und erhalten? Sie abreißen, verdrängen oder ignorieren? Hart geht der Beitrag Professor Winfried Nerdingers mit München ins Gericht, wo mit den NS-Relikten nach der Devise „die Zeit heilt Wunden“ verfahren und der alte Zustand wieder hergestellt wurde, wo doch „der Königsplatz nie wieder nur ein klassizistischer Platz“, die „Feldherrnhalle nie wieder nur Loggia-dei-Lancia-Kopie der Ludwig-Zeit“ werden können: „Der Nationalsozialismus liegt als Geschichte, als historische Schicht darüber.“

Vielleicht ist der letzte Beitrag programmatisch und wegweisend: „Gedenkstätten zu Denkstätten“ ist er überschrieben und ließe sich nicht nur auf die Überbleibsel der Nazizeit münzen, sondern wohl auf die Denkmäler der deutschen Geschichte des Säkulums überhaupt — vom adlergeflügelten Wilhelminismus bis zum „siegreichen Sozialismus“.

Bernd Ogan, Wolfgang Weiss (Hg.): Faszination und Gewalt. Zur politischen Ästhetik des Nationalsozialismus . Nürnberg, W. Tümmels Verlag, 1992; 303 Seiten, mit 243 Abbildungen, gebunden, 58 DM.