GASTKOMMENTAR
: Hohes Risiko

■ Ist eine neue Runde des Bürgerkriegs in Afghanistan noch zu verhindern?

Jahrelang hatte der skrupelloseste der afghanischen Mudschaheddinführer, Gulbuddin Hekmatyar, davon gesprochen, daß er in Kabul einen Militärputsch organisieren könne. Und an erfolglosen Versuchen seinerseits hat es auch nicht gefehlt. Jetzt ist Präsident Nadschibullah tatsächlich durch eine Palastrevolte gestürzt worden — das eigentliche Ziel des Putsches besteht aber darin, Hekmatyar von der Macht fernzuhalten. Die Machtelite der alten Regierung setzt ihren eigenen Präsidenten ab — in offener Absprache mit wichtigen Mudschaheddinkommandanten. Nadschibullah wäre im Rahmen des UNO-Planes ohnehin sehr bald zum Rücktritt genötigt gewesen. Die alte Machtelite um Außenminister Wakil und den faktischen neuen Parteichef Mazdak setzt nun alles auf eine Karte — auf die Bildung einer gemeinsamen Front mit kooperationsbereiten Mudschaheddin gegen die größte Bedrohung, nämlich Hekmatyar. Diese überraschende taktische Wendung basiert auf alten Voraussetzungen: den engen Kontakten und Absprachen zwischen Teilen der feindlichen Lager und der Nutzung alter ethnischer und Stammesgegensätze. Es ist kein Zufall, daß Außenminister Wakil und Mudschaheddinkommandant Massoud beide Tadschiken sind, während Nadschibullah und Hekmatyar wichtige Rollen in paschtunischen Stammesverbänden spielen. Der Putsch in Kabul will die Machtapparate der Regierung in die Zeit nach Nadschibullah hinüberretten, indem sie sich einem Führer der Mudschaheddin anschließen. Das Spiel hat aber ein hohes Risiko. Der Sturz Nadschibullahs führt mindestens teilweise zu Verwirrung, Resignation und Desintegration des Militärs. Er könnte damit das verspielen, was er eigentlich retten will. Außerdem: Die Putschisten liefern sich zum Teil dem Wohlwollen Massouds aus. Ob die bestehenden Vereinbarungen beider Seiten aber eingehalten werden, ist unsicher.

Noch ist die Nachrichtenlage aus Afghanistan unklar. Im günstigsten Fall könnten die Entwicklungen der letzten Tage eine Zusammenarbeit von Teilen der Regierung und Teilen der Mudschaheddin zustande bringen. Das würde Hekmatyar von der Macht ausschließen und wäre daher wünschenswert. Es besteht aber die große Gefahr, daß der Putsch nur dazu führen wird, die Fragmentierung der afghanischen Gesellschaft weiter zu verstärken und damit den Einfluß Hekmatyars zu vergrößern. In diesem Falle wäre der Putsch nur der Auftakt zu einer neuen Runde im Bürgerkrieg. Jochen Hippler

Der Autor ist Sozialwissenschaftler und Leiter des Wuppertaler Instituts für Internationale Politik