DEBATTE
: Gewerkschaftliche Lebenslügen

■ Demagogische Behauptungen zur Sicherung der Jobs in den neuen Ländern

Die treuesten Anhänger des Bundeskanzlers sind offenbar die Funktionäre der IG-Metall. Helmut Kohls Behauptung, in den neuen Bundesländern „wird es niemandem schlechter gehen“, war ja im eigenen Portemonnaie leicht zu überprüfen und ist deshalb längst entlarvt. Nur die Gewerkschaften recyceln die Kanzler-Lüge beständig, allerdings in ihrer Variation: Niemandem müßte es schlechter gehen — wenn denn nur die Treuhandanstalt alle Betriebe möglichst lange mit möglichst vielen Beschäftigten unter eigener Verwaltung behielte, alle Gefeuerten ganz weich in Beschäftigungsgesellschaften aufgefangen würden und die Bundesregierung endlich wieder Hermes-Bürgschaften für den Export ostdeutscher Waren in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zahlte. Damit gewinnt man im Osten Mitglieder. Und dafür, daß die Arbeitslosigkeit im Osten in den nächsten Jahren hoch bleiben wird, ist selbstverständlich kein Gewerkschaftsfunktionär verantwortlich.

Die in den neuen Bundesländern noch vorhandenen 6,5 Millionen Arbeitsplätze könnten nur gehalten werden, wenn die Produktivität so hoch wäre wie im Westen. Das ist sie jedoch keinesfalls. Nimmt man gar die Entwicklung von Löhnen und Produktivität zusammen, dann hat sich im vergangenen Jahr durch die Massenentlassungen die Wettbewerbsfähigkeit der Ost-Industrie nicht verbessert: Der Produktivitätsgewinn wurde durch die Lohnerhöhungen aufgefressen. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung war die Produktivität je Stunde 1991 genauso niedrig wie 1990.

In diesem Jahr werden die Gewerkschaften für die ostdeutschen Beschäftigten wie schon 1991 die Anpassung der Löhne an das Westniveau fordern. Je mehr die Löhne also in Westdeutschland steigen, um so teurer wird diese Angleichung der Ostgehälter für die Unternehmen in den neuen Bundesländern, von denen viele ohnehin mit Verlust arbeiten: Der Druck zu weiterem Arbeitsplatzabbau wird erhöht.

Riva tat mehr für Jobs als die IGM

Zur Sicherung von Arbeitsplätzen in den ostdeutschen Bundesländern hat der italienische Stahlkonzern Riva mehr beigetragen als die IG-Metall. Erst das Interesse der ausländischen Konkurrenz hat nämlich die westdeutschen Stahlbarone dazu gebracht, sich die traditionellen Standorte ernsthaft anzuschauen — um zu verhindern, daß andere ihre Marktposition ausbauen. Warum auch hätte sich Krupp-Chef Cromme Eko- Stahl in Eisenhüttenstadt ans Bein binden sollen? Schließlich birgt die zunächst kostenträchtige Übernahme von Hoesch in Dortmund auch ein gewisses Risiko.

Ausgerechnet die total veraltete ostdeutsche Stahlindustrie, die anfänglich in der Breuel-Behörde niemand für privatisierungsfähig hielt, könnte für die Treuhand zum erfolgreichsten Beispiel gelungenen Strukturwandels werden. An den alten Standorten entstehen modernisierte Produktionsstätten — allerdings nur für ein Viertel der Belegschaften.

Die IG-Metall hat demgegenüber die Übernahme der gesamten Großindustrien in Holdinggesellschaften des Bundes gefordert, um diese Konzerne zu sanieren und dann über die Börse zu privatisieren. Nur: mehr Milliarden, als die (bundeseigene) Treuhand derzeit durch Übernahme der betriebswirtschaftlichen und ökologischen Altlasten in die Unternehmen pumpt, könnte auch eine andersgeartete Staatsholding nicht aufbringen. Das Bundesfinanzministerium soll sich Gerüchten zufolge intern bereits auf ein abschließendes Treuhand-Minus von 400 Milliarden Mark einrichten.

In dieser Rechnung sind wahrscheinlich nicht einmal viele Privatisierungen zu Werften-Preisen enthalten. Die Modernisierung jedes mecklenburg-vorpommerschen Werftarbeitsplatzes kostet eine halbe Million Mark, während die Schaffung eines durchschnittlichen Industriearbeitsplatzes in Westdeutschland Investitionen von höchstens 300.000 Mark erfordert. Allzu hastig hatte sich die Treuhand zu einer öffentlichen Festlegung auf eine Lösung drängen lassen, hinter die sie dann in den Verhandlungen mit den Firmen nicht mehr zurück konnte.

Das Treuhanddefizit und die jährlichen Transferzahlungen an die neuen Bundesländer werden wohl kaum einzusparen sein. Was an Investitionen gekürzt würde, müßte woanders zwangsläufig gezahlt werden — für Arbeitslosengeld und Sozialhilfe. Aber die weitere Finanzierung der 150 bis 200 Milliarden Mark an jährlichen Osttransfers über Kredite würde den Bundeshaushalt und damit auch die Handlungsfähigkeit der Regierung bald total blockieren.

Die Gewerkschaften argumentieren gern folgendermaßen: Es ist besser, Arbeitsplätze zu subventionieren, als Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Im Prinzip ja. Fragt sich nur, wieviele Arbeitsplätze und für wie lange? Und woher kommt das Geld für sie? Nach IG-Metall-Auffassung auf gar keinen Fall über die Ausgabe von Belegschaftsaktien als Teil des Gehalts: Das unternehmerische Risiko liegt allein bei der UnternehmerIn, basta!

Interessanterweise wird die Verlangsamung des Strukturwandels am vehementesten für die auch im Westen dauerkriselnden Branchen Stahl und Werften gefordert; Branchen, in denen mehrheitlich Männer beschäftigt sind. Keine Gewerkschaft hat sich so vehement für die Standorte der östlichen Textilindustrie eingesetzt, wo im vergangenen Jahr 90Prozent der (überwiegend Frauen-)Arbeitsplätze verschwunden sind.

Die nächsten Betriebsbesetzungen werden in der Magdeburger Schwermaschinenindustrie stattfinden. Dort werden die IG-Metall-Betriebsräte vor allem von der Bundesregierung eine Aufstockung der Hermeskredite für Exporte in die GUS- Staaten fordern. Die bundeseigene Hermesversicherung hat den Zweck, dann einzuspringen, wenn der Preis für ins Ausland gelieferte Waren vom Empfänger nicht einzutreiben ist. Im Falle der UdSSR- Nachfolgestaaten wäre ein Großteil der Versicherungssumme eine direkte Exportsubvention. Für eine Übergangszeit ist dagegen nichts zu sagen. Ganz offensichtlich aber verlassen sich die Schwermaschinenbauer darauf, daß in zwei oder drei Jahren in Rußland die Krise überwunden sein wird, die Russen dann gegen Devisen weiter in Magdeburg einkaufen werden. Dagegen spricht erstens jede Erfahrung in Osteuropa. Keines der Reformländer wird innerhalb weniger Jahre seine Wirtschaft totalsanieren können. Die zweite Unsicherheit ist, ob sie dann nicht lieber gleich im Westen einkaufen werden; oder den begehrten Westinvestor in ihr — im Vergleich zu Ostdeutschland — Billiglohnland locken und die benötigten Maschinen selbst produzieren werden.

Lohnsubvention statt Kapitalförderung

Letztlich führt kein Weg daran vorbei, daß die Produkte der neuen Bundesländer auf dem Weltmarkt gegenüber denen der „alten“ konkurrenzfähig werden. Daneben müssen neue Unternehmen entstehen. Bisher fördert die Bundesregierung Kapital, das zwischen Elbe und Oder investiert wird. In der Folge entstehen wenige High-Tech-Arbeitsplätze als Inseln. Sinnvoller als die Förderung des Kapitals für Großinvestitionen wäre es, direkt die Beschäftigung per Lohnsubvention staatlich zu unterstützen — befristet und degressiv.

Die Fixierung auf die wohlorganisierten protestbereiten Restbelegschaften der großen Kombinate verhindert zudem, daß andere Entwicklungsmöglichkeiten überhaupt nur in die öffentliche Diskussion gelangen. So gibt es in den neuen Bundesländern knapp zwei Jahre nach der Wirtschafts- und Währungsunion erst 4.500 mittelständische Industriebetriebe. 20.000 müßten es dort sein, um ähnliche arbeitsplatzschaffende Strukturen wie im Westen zu erreichen. Bisher aber machen Ostdeutsche, die einen Betrieb gründen wollen, häufiger als Westdeutsche die Erfahrung, daß die Banken ihre Konzepte zwar einleuchtend finden, trotzdem aber auf sehr hohe Sicherheiten für Kredite bestehen.

Selbstverständlich würde auch eine aktive Mittelstandspolitik nicht von jetzt auf gleich Arbeit für alle schaffen. Je nach Wirtschaftswachstum der Ost-Bundesländer dauert das wohl mindestens zehn Jahre. Und solange werden die Beschäftigungsperspektiven in den neuen Bundesländern düster bleiben.

Das Recht auf Arbeit verschwand in den Trümmern der DDR. Und das Wirtschaftssystem der Bundesrepublik gerät zunehmend genau in die Legitimationskrise, in die sie Honecker & Co. mit den Fernsehbildern der Westarbeitslosigkeit seinerzeit drängen wollten. Donata Riedel