Kinkel: Laute Töne sind keine Argumente

■ Der Justizminister verteidigt seine Initiative zur Haftentlassung von RAF-Gefangenen/ Politiker fürchten Abbau des Sicherheitsapparates/ Kinkel: CSU hat kein Kritikmonopol in der Koalition

Berlin (taz) — Bundeskanzler Kohl wird einige Mühe haben, die Schräglage in der Diskussion um den Kinkel-Vorstoß zu beseitigen, wenn er diese Woche aus seinem österreichischen Urlaubsort zurückkehrt. Kohl, der über seinen Regierungssprecher Ende letzter Woche verlauten ließ, er beabsichtige, die Frage einer vorzeitigen Haftentlassung von RAF-Gefangenen zur Chefsache zu machen, muß zuerst all die besänftigen, die — nach der RAF-Erklärung, den bewaffneten Kampf einstellen zu wollen — einen vorschnellen Abbau des Sicherheitsapparates befürchten. Stein des Anstoßes ist eine Passage in einem Interview von Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP) mit dem 'Spiegel‘, in dem Kinkel anregte, „im Bereich des übertriebenen Personenschutzes“ abzuspecken. Prompt mußte sich der Liberale vorhalten lassen, die terroristische Bedrohung zu verharmlosen.

Wie wenig Kinkels Pläne bei seinen Kritikern durchdacht wurden, zeigte exemplarisch die Reaktion des stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Dieter Wimmer. Er warnte davor, den Sicherheitsapparat abzubauen — in dem RAF-Schreiben gebe es kein Wort von Reue oder Scham, „kein Zeichen also, das auf eine wirkliche Abkehr von der Gewalt schließen ließe“. Wimmer gilt, was Ende letzter Woche schon der SPD-Innenexperte Penner, CSU-Chef Waigel oder der bayerische Innenminister Stoiber gebetsmühlenartig konstatierten: „Für die RAF darf es keine Sonderbehandlung geben.“

„Keinen Grund für Entwarnung“ sah über die Feiertage auch Innenminister Rudolf Seiters (CDU). Für ihn bleibt die RAF auch nach ihrer jüngsten Erklärung „unberechenbar“. Seiters lehnte eine Verschränkung des RAF-Angebotes auf Gewaltverzicht mit der geforderten Freilassung von RAF-Gefangenen ab.

Kinkel, der seine Initiative in Gesprächen mit der taz und dem 'Spiegel‘ ausführlich erläuterte, verteidigte über Ostern mehrfach seine Bemühungen. Höchst unglücklich über den verwendeten Begriff „übertriebener Personenschutz“, stellte er klar: „Wenn sich herausstellen sollte, daß mit Anschlägen nicht mehr gerechnet werden muß, dann könnte auch an den Abbau von Personen- und Objektschutz gedacht werden. Das wird nicht vorschnell geschehen, wie der SPD-Abgeordnete Penner mir vorwirft.“ Der CSU warf Kinkel eine überzogene Kritik vor — „inhaltlich und vor allem im Ton“. Die Christsozialen hätten „in der Koalition nicht das Monopol für Kritik und Allwissenheit“. Laute Töne seien „kein Beweis für bessere Argumente“. Der Liberale warb erneut für seine Initiative: „Wir waren bisher nicht in der Lage, mit dem RAF- Terrorismus wirklich fertig zu werden. Jetzt, wo es begründete Hoffnung auf das Ende der Bedrohung gibt, dürfen wir sie nicht zerreden.“

Einen Mitstreiter fand Kinkel im hessischen Innenminister Herbert Günther. In einem Interview mit der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‘ erklärte Günther, daß politisch motivierte Gewalttaten weiter verfolgt und bestraft würden. Man könne allerdings überlegen, wie weit im Strafvollzug bestimmte Sicherheitsvorkehrungen gelockert werden könnten. Der SPD-Mann empfahl, einen „kühlen Kopf zu bewahren und nicht so emotional zu reagieren, wie das in den letzten Tagen in allen politischen Lagern geschehen ist“. Wolfgang Gast