: Generationenhaus statt Altenheim
■ In der Hildesheimer Straße leben Alt und Jung unter einem Dach
„Straßenarbeiter“, das klingt nach frischer Luft und sozialer Feuerwehr. In der Hildesheimer Straße hat sich ein Wohnprojekt so genannt: Fünf jüngere Menschen wohnen hier in wechselnder Besetzung in einem behaglichen Bremer Haus mit zwei alten Frauen zusammen. „Frohe Ostern“ wünscht die 85jährige Helene im Vorbeigehen.
Einen Hauch von sozialer Feuerwehr bringen erst Peter Schaefers Erzählungen in die kleine Küche: Vor vier Jahren kam er zu Besuch aus der Eifel in die Hildesheimer Straße und entdeckte, daß dort eine alte Frau in einer „Müllhalde“ wohnte. Im Klo habe der Urin gestanden, doch keiner habe sich darum gekümmert. In der Behördensprache ein klassischer „Schwerstpflegefall“, mit dem „alle überfordert waren“. Weil Gertrud „völlig allein“ war, und er „sowieso aus der Eifel weg wollte“, blieb der Schauspieler und pflegte die Alte gemeinsam mit zwei Freunden, bis sie zwei Jahre später starb.
„Was Pflegegelder sind, wußten wir nicht“, sagt Peter Schaefer, darum hätten sie in den ersten Monaten ihres „Projektes“ nur von Sozialhilfe gelebt. 400 Mark habe ihnen der Sohn der alten Frau von ihrer Rente gegeben und sie für die Rund-um-die Uhr- Betreuung mietfrei dort wohnen lassen. Als die Mutter starb, stellte der Sohn sie vor die Alternative: Ausziehen oder das Haus kaufen. Dank eigener Bausparverträge und privater Zuschüsse wurden die „Straßenarbeiter“ Hausbesitzer.
Jetzt teilen sich vier Pflegerinnen und ein Pfleger das Haus in der Hildesheimer Straße mit zwei alten Frauen. Wer dort wohnen will, muß bereit sein, mindestens einmal in der Woche 24 Stunden für die beiden Alten da zu sein. Inzwischen arbeiten die Behörden ohne Probleme mit den „Straßenarbeitern“ zusammen. Das Amt für Soziale Dienste, die Hauptfürsorgestelle des Senators für Arbeit und die AOK zahlen den StraßenarbeiterInnen Pflegegelder. Doch unter dem Strich errechnet Peter für jede Pflegerin und jeden Pfleger nur einen Stundenlohn von vier Mark. Alles andere, sagt Peter, wird „ideell aufgefangen“. Gelegentlich helfen Nachbarn oder Angehörige bei der Pflege, aber vor allem die Angehörigen würde Peter Schaefer gern stärker einbinden. „Die sagen immer, sie hätten keine Zeit“.
Die „Straßenarbeiter“ investieren das Geld, das sie für ihre Pflegedienste erhalten, derzeit in Immobilien. Ein Umzug steht bevor: „Wir brauchen ein größeres Haus, denn die Pfleger haben nur geringe Rückzugsmöglichkeiten“, sagt Peter. Zur Zeit wohnt eine Pflegerin in einem vier Quadratmeter großen Zimmer. „Es wird hier alles sehr effektiv genutzt“, erklärt sie. Ziel der Arbeit ist es, den Alten ein „natürliches Umfeld“ zu schaffen, eines, in dem Zeit für die Alten da ist. Das verlange einen „höllischen Einsatz“ von ihnen, sagt Peter Schaefer. Medikamente zur „Ruhigstellung“ lehnen die Straßenarbeiter ab, sie wollen die Alten „reaktivieren“. Die „Straßenarbeiter“ verstehen sich nicht als Dienstleistung sondern als Projekt. Das Wort „Altenheim“ ist tabu. Peter Schaefer spricht von einem „Generationenhaus.“ Ein Modellprojekt? Nein, meint der Schauspieler: ein „Entwicklungsprozeß.“ Diemut Roether
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