VILLAGE VOICE
: Vom Nutzen und Nachteil der späten Geburt

■ Berliner Dancefloor mit importiertem Produzenten und Hauruck-Programming: Neue Platten von den Space Cowboys und And One

Die Space Cowboys hatten das Glück, früh in den vermeintlichen Underground mit hineingerutscht zu sein. Dadurch ergeben sich ganz andere Regeln der Credibility, als sie jüngere Berliner Bands im Konkurrenzkampf erfahren. »Echte« Musik wird von den Space Cowboys gar nicht so sehr erwartet wie die richtige Attitüde. Im drögen Berlin reicht das allemal zu einem Hüpfer auf der Karriereleiter.

Die Plattenfirma hat dementsprechend investiert. David Harrow, der eigens eingeflogene Top-Produzent, hat nicht nur Anne Clark die Elektroarchitektur ihrer lyrischen Klangwerke gebastelt, er verfügt auch über ein reichhaltiges Angebot wohlklingender Sounds aus den Studios von Adrian Sherwood: Industrial, stählerner Dancefloor, London Underground.

Die Rechnung geht auf. Die Space Cowboys müssen so gut wie gar nicht musizieren, Harrows Programme und Maschinen machen das auch merklich besser. Die Grooves marschieren mit Schmiß, hier und da jingeln ein paar Zitate aus alten Soul- oder Funkplatten in den neuzeitlichen Code. Manchmal neigt sich das Konzept gar gen Kunst. In Ace of Spade singt ein fremder Chor großartig daneben — noch nicht ganz Fußballstadion und nicht mehr Schülertheater, aber ganz gewiß schwarz.

Mit der Zeit allerdings ermüdet das arbeitsteilige Designerprodukt. Auf die gelungene Maxiauskoppelung Stoned Out Of My Mind muß man immerhin 39 Minuten lang warten. Auch hier entschädigt bloß ein seltsam debiler Refrain, den die Andrea True Connection in den Glanzzeiten des »Musikladens« nicht besser hätte verbrochen haben können. Zum Einstieg in die »Eurotops« wird es dennoch nicht reichen. Vielleicht, weil Rapper MC Bismarck zu viele Nächte in Kneipen verbringt, anstatt über dem Dictionary zu büffeln. Seine Reime sind miserabel, krautig: »I'm of a strong race / like Rimbaud / raw / a rolling stone« (Check The Name). Selbst wenn er in den Momenten wachsamer Coolness verlegen im Off murmelt, steht er den New Kids On The Block näher als dem munteren Treiben auf der Straße. Ein Werbetexter für Herrenunterwäsche weiß besser, wovon er redet.

Mag David Harrow auch die besten Leckereien aus der Vorratskammer der Popmusik zusammengeklaubt haben — vom Havelrock- Griff bis zu Techno-Samples läßt er alles schonungslos recyceln —, bei den Space Cowboys hätte einfache Hausmannskost oder Tütensuppe den Geschmack eher abgerundet. Bloß einmal dürfen sie selbst. Mike Vamp spielt dann eine Gitarrenadaption des Third Stone From The Sun von Jimi Hendrix. Da kommt wenigstens ein bißchen Probenraumstimmung auf.

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And One wissen mit ihrer Bewegungsfreiheit auf den Tanzböden dieses Planeten auch nicht besonders viel anzufangen. Hatte die Vorläuferplatte noch den Charme eines fröhlich bastelnden Kindes, so stimmt an der neuen Veröffentlichung vor allem der Titel: Flop. Selten entfernt sich das Trio von den ehernen Vorbildern Kraftwerk oder Depeche Mode, noch seltener nutzen sie allerdings die vertrauten Hitmelodien der dogmatischen Elektroniker zu ihrem Vorteil. Schließlich werden Epigonen gerade wegen ihrer Ähnlichkeit zum Vorbild geliebt, verführen Anleihen bei den Altmeistern zum melancholischen Schwelgen in der eigenen Erinnerung.

Doch dafür sind die meisten Stücke zu eilig programmiert worden. Meist kommt die Band nicht über Stückwerk hinaus. Ein Part endet per Knopfdruck, der Rhythmusblock wiederholt sich mit der Präzision einer einfachen Zahleneingabe in den Computer. Alles, was selbst bei Depeche Mode in experimentelles Gefiepe ausufert, wird hier rigoros weggelöscht. Einfältig wirkt das Grundschema der Kompositionen besonders dann, wenn eine Melodie länger als eine Sample-Länge Spannungsbögen aufzubauen versucht. Die Stille vor dem Ton lebt tatsächlich nur von einem kurzen Aussetzer, über den der Sequenzer ausnahmsweise einmal nicht hinwegmäht.

Komischerweise kommen And One ausgerechnet bei der Sparte Gefühlskitsch aus der Reserve. Mag der Titel Erste Liebe auf den ersten Blick auch mehr als banal erscheinen — die eingeblendeten Tonbandstimmen erzeugen jene amorphe Spannung, mit der in den frühen achtziger Jahren Bands wie Throbbing Gristle oder später Foetus äußerst einprägsam Ängste artikuliert haben. Das Pech der drei Jungelektroniker besteht wohl darin, ein wenig zu spät in die Musikwelt gesetzt worden zu sein.

Trotzdem läßt sich das Dilemma der späten Geburt nicht mit sanfter Mimikry an die Technomomente von einst bewältigen, zumal im ganz normalen Techno-Alltag weitaus stärkere Inspirationen zu finden sind. Und die Alten orientieren sich ja selbst an den Brettern aus dem Untergrund. Harald Fricke

Space Cowboys: Locked 'n' Loaded

(Rough Trade)

And One: Flop (Machinery Records)