Vom Zelluloid total besessen

■ Jörg Roßkopf durchbrach als erster Deutscher die Siegesserie der Schweden und holte sich in Stuttgart mit der Europameisterschaft seinen ersten großen internationalen Einzeltitel

Stuttgart (dpa) — Ein großer Partylöwe ist Jörg Roßkopf sicherlich nicht, wird es auch nicht mehr werden. Selbst beim Abschlußbankett überließ der frischgekürte Tischtennis-Europameister den geschlagenen Weltmeistern aus Schweden die Entertainer-Rolle. Während die trinkfesten Skandinavier ihre „historische Niederlage“ mit reichlich Alkohol und Jux-Auftritten feucht- fröhlich feierten — Hochzeiter Erik Lindh versuchte sich gar als Frank- Sinatra-Imitator — kehrte bei den Deutschen zunächst eine „stille Vergnügtheit“ (Verbandspräsident Gäb) ein. „Ich werde jetzt erstmal acht Tage Urlaub in Nizza machen. Dann beginnt für mich die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele“, sagte der Sieger von Stuttgart gewohnt ernsthaft und pflichtbewußt.

Probleme mit der Motivation hat der 22jährige nicht. Er ist vom Zelluloidball besessen. „Ich glaube, Rossi hat bereits an Barcelona gedacht, als der letzte Takt der Nationalhymne gespielt wurde“, meinte Cheftrainerin Eva Jeler über ihren Musterschüler, den sie manchmal eher bremsen muß als anspornen. Seine einzigen Leidenschaften außer dem Tischtennis sind die Vorliebe für schnelle Autos, für Rocksänger Bruce Springsteen und für die Fußballburschen von Eintracht Frankfurt, für die er die Daumen drückt, sobald er den Schläger mal losläßt. Hinzu kommt seine Schwäche für große Titel: „Einmal möchte ich Weltmeister im Einzel werden“, träumte er schon in seiner Jugend. Doch der Erfolg steigt ihm offenbar nicht zu Kopf. Doppelpartner Speedy Fetzner: „Er ist ein lammfrommer Mensch geblieben.“

In Spanien will der erste deutsche Tischtennis-Europameister die erste Olympia-Medaille für sich und den Deutschen Tischtennis-Bund holen. Vielleicht werden es sogar zwei, denn das frühe Aus mit Doppel-Partner Steffen Fetzner bei der Europameisterschaft in Stuttgart wurmte „Rossi“ doch, obwohl es ihm etwas Kraft für das Einzelturnier sparte. „Die Antwort auf das verlorene Doppel kann nur lauten: in Barcelona eine Medaille gewinnen“, sagte der Ex-Weltmeister von 1989.

Eine Ochsentour mit insgesamt 33 Spielen an neun Europameisterschaftstagen (Bilanz 25:8) hatte der Linkshänder und zweimalige EM- Dritte zu bewältigen, ehe er diesmal ganz oben auf dem Treppchen stand. „Dieser Titel ist sehr wichtig für Jörg, denn jetzt ist er ein Teil der Sportgeschichte. Dafür hat er lange und hart gearbeitet. Erneut im Halbfinale zu scheitern wie 1988 und 1990 wäre bitter für ihn gewesen“, meinte sein persönlicher Manager Michael Bachtler.

„Ich hoffe, daß dieser Sieg einen größeren Aufschwung an der Basis bewirkt als die Doppel-Weltmeisterschaft 1989“, meinte Sportwart Eberhard Schöler. Einen Vergleich der Leistung von Roßkopf mit seiner eigenen wollte der Weltmeisterschafts-Zweite von 1969 nicht ziehen: „Das waren doch damals ganz andere Zeiten.“

Der Europameistertitel von Roßkopf bedeutete eine Bestätigung für den von DTTB-Präsident Hans Wilhelm Gäb angeregten und von einem kompetenten Trainerteam umgesetzten, leistungsorientierten Profi- Kurs. „Es ist aber nur ein vorläufiger Endpunkt“, sagte Gäb. Seinem Ziel, Tischtennis populär zu machen, ist er einen großen Schritt näher gekommen. Dank eines Jörg Roßkopf, der auch in der Stunde des größten Erfolges der „nette Junge von nebenan“ bleibt. „Tischtennis“, so Gäb, „ist kein Sport, mit dem man gesellschaftlichen Status erlangen kann.“

Herren-Mannschaft Endspiel: Schweden - England 4:1.

Damen-Team, Endspiel: Rumänien - Niederlande 3:1; Bronze: Jugoslawien und GUS.

Damen-Einzel, Endspiel: Bettine Vriesekoop (Niederlande) - Lisa Lomas (England) 3:0.

Herren-Doppel, Endspiel: Jörgen Persson/ Erik Lindh (Schwden) - Jan Ove Waldner/Mikael Appelgren (Schweden) 2:0.

Damen-Doppel, Endspiel: Jasna Fazlic/Gordana Perkucin (Jugoslawien) - Csilla Batorfi/ Gabriella Wirth (Ungarn) 2:0.

Mixed, Endspiel: Calin Creanga/Otilia Badescu (Griechenland/Rumänien) - Jean-Phlippe Gatien/Wang Xiaoming (Frankreich) 2:1.

Herren-Einzel, Endspiel: Jörg Roßkopf - Jean- Michel Saive 3:1.