Serben in Bosnien auf dem Vormarsch

■ Tote in den Straßen von Sarajevo/ Über 5.000 Bosnier fliehen täglich nach Kroatien/ USA und Bundesrepublik für schärfere Maßnahmen gegen Belgrad/ Waffenstillstandsverletzungen in Kroatien

Sarajevo/Belgrad/Bonn (afp/ap/ dpa) — Im Bürgerkrieg in Bosnien- Herzegowina haben sich die Kämpfe gestern auf Sarajevo konzentriert. In der bosnischen Hauptstadt kam es gestern zu heftigen Artilleriegefechten. Außer den schweren Detonationen waren in mehreren Stadtteilen auch Schüsse aus automatischen Waffen zu hören. Radio Sarajevo meldete, wegen der anhaltenden Kämpfe hätten die Rettungsdienste über vierzig Hilferufen von Verletzten nicht nachkommen können. Die Kämpfe forderten zahlreiche Opfer, in den Straßen lagen nach Augenzeugenberichten Tote, die nicht geborgen werden konnten. Besonders heftig umkämpft war das Fernsehgelände in der Altstadt, auf dem gewaltige Brände ausbrachen. Die Serben Bosnien-Herzegowinas beanspruchen etwa die Hälfte der 600.000-Einwohner-Stadt als Metropole ihrer selbsternannten Republik.

Nachdem Einheiten der serbisch dominierten Bundesarmee und serbische Freischärler in den letzten Wochen bereits acht Städte in Bosnien-Herzegowina erobert haben, überrannten sie am Montag nach einer Meldung des Belgrader Fernsehens die Stadt Bratunac, die an der Grenze zu Serbien liegt. Zuvor war schon das benachbarte Srebrenica gefallen. Nach Angaben von UN- Soldaten tarnten sich kroatische und serbische Milizionäre einige Male als Blauhelme. Sie hätten gestohlene UN-Fahrzeuge benutzt oder eigene Wagen in den entsprechenden Farben umgespritzt.

Zehntausende von Menschen sind inzwischen auf der Flucht vor den vorrückenden Serben. Nach Angaben der kroatischen Behörden treffen täglich über 5.000 Flüchtlinge in Kroatien ein. Allein am Montag erreichten rund 18.000 Menschen die Stadt Goradze, die als letzte Hochburg der Moslems in Ostbosnien gilt.

Seit Beginn der schweren Kämpfe in Bosnien-Herzegowina vor zwei Wochen stehen die serbischen Verbände nun kurz vor ihrem militärischen Ziel. Es ist ihnen weitgehend gelungen, ihr relativ kompaktes Siedlungsgebiet in Westbosnien (die bosnische Krajina) mit den ebenfalls von ihnen beanspruchten Regionen im Osten und Süden (die sogenannten unabhängigen Gebiete Nord-Ost- Bosnien, Romanija und Alt-Herzegowina) zu verbinden.

Dazu wurden in Nordbosnien die Gemeinden Derventa, Modrica, Bosanski Samac und Brcko eingenommen, so daß jetzt eine durchgängige serbisch kontrollierte West-Ost- Verbindung existiert. Von dort aus wurde eine ununterbrochene Nord- Süd-Verbindung durch die Eroberung der Gemeinden Zvornik, Vlasenica, Visegrad und Foca hergestellt. In allen besetzten Gemeinden bilden nicht die Serben, sondern Moslems oder Kroaten die Bevölkerungsmehrheit.

Das nächste militärische Ziel der Serben und der Armee dürfte — entsprechend ihres Erfolges im Norden — die Schaffung einer zweiten durchgängigen West-Ost-Verbindung im Süden Bosniens sein. Dazu müßten zum Beispiel die ebenfalls nichtserbischen Gemeinden Konjic und Gornji Vakuf unter Kontrolle gebracht werden. Genau hier wie auch in anderen Gemeinden dieser Region zeichnen sich in den letzten Tagen neue Kämpfe ab. Sollte dieser Schritt gelingen, hätten die Serben ihr Ziel erreicht: sie hätten ein einheitliches serbisches Hoheitsgebiet geschaffen, die moslemische Mehrheit völlig eingekreist und die kroatische Minderheit vom bosnischen Hinterland abgeschnitten.

Ungeachtet der militärischen Eroberungen vor Ort, stritt der serbische Präsident Slobodan Milosević am Montag abend jedwede Gebietsansprüche in Bosnien-Herzegowina ab. Gegenüber Ralph Johnson, einem hohen Beamten des US-Außenministeriums, wies er die „ernsten Bedenken“ Washingtons gegen die serbische Aggression zurück.

In Bonn ließ Außenminister Genscher am Dienstag mitteilen, daß die USA und die Bundesrepublik weitere Maßnahmen Amerikas und der Europäischen Gemeinschaft für notwendig hielten, wenn die Bundesarmee ihr Vorgehen gegen die Bevölkerung nicht einstelle.

In Washington hieß es gestern, die USA planten eine deutliche Verringerung des Personals in ihrer Botschaft in Belgrad.

Angesichts der schweren Kämpfe in Bosnien-Herzegowina wird kaum noch registriert, daß es auch in Kroatien wieder zunehmend zu Gefechten kommt. Nach Angaben der kroatischen Nachrichtenagentur 'HINA‘ wurde der Waffenstillstand über Ostern 125mal von der Bundesarmee gebrochen. Die häufigsten Waffenstillstandsverletzungen habe es an der Front in Ostslawonien, bei Gospic und Karlovac gegeben.

In der Nacht zum Dienstag griff die Bundesarmee nach Angaben kroatischer Medien erneut zahlreiche Städte und Dörfer an. In der ostslawonischen Stadt Osijek wurde am späten Montag abend Großalarm ausgelöst. Daraufhin griff die Armee von ihren Stützpunkten im Norden und aus umliegenden Dörfern die Stadt mit Panzerabwehrraketen und Mörsern an. Sechs Menschen seien verletzt und zahlreiche Wohnviertel beschädigt worden, berichtete das Fernsehen. Auch die Bewohner von Slavonski Brod verbrachten die Nacht in Schutzräumen.

Weitere Angriffe der Armee wurden ferner aus dem westslawonischen Nova Gradiska, aus Vinkovci, Karlovac sowie aus den Regionen Banija und Pokupsko gemeldet. In Osijek trafen außerdem mehrere hundert Menschen nichtserbischer Nationalität ein. Sie seien am Montag von serbischen Nationalisten aus ihren Dörfern in den Regionen Osijek und Vukovar vertrieben worden, hieß es im kroatischen Fernsehen. Dort sind bereits Soldaten der UN- Friedenstruppe für Kroatien stationiert.