Kabul bleibt nichts als Warten

■ Die afghanische Regierung erklärt sich bereit, die Macht abzutreten — aber an wen?/ Mudschaheddin noch uneins über Führung des Übergangsrates/ Hekmatyar bleibt unversöhnlich

Kabul (ap/taz) — Der amtierende afghanische Präsident Abdul Rahim Hatif hat sich bereit erklärt, die Macht an einen von den Rebellen gebildeten Rat oder eine neutrale Übergangsverwaltung abzutreten. „Wir haben dabei keine Präferenzen. Wir haben einer kompletten Übergabe der Staatsmacht prinzipiell zugestimmt“, sagte Hatif am Dienstag. Angesichts der Tatsache, daß die Rebellen bis auf Kabul inzwischen alle Städte und Provinzen beherrschen, bleibt seiner Regierung auch kaum eine andere Wahl.

In der pakistanischen Grenzstadt Peshawar gingen die Verhandlungen unter den wichtigsten afghanischen Guerillagruppen auch gestern weiter. Am Montag hatten sie sich zwar weitgehend auf einen 20köpfigen Rat verständigt, der die Macht in Kabul übernehmen soll. Doch sie sind weiterhin über die Frage zerstritten, wer den Vorsitz in diesem Rat führen soll. Die meisten Gruppen unterstützten Achmed Schah Masud, den militärischen Führer der Dschamiat- i-Islami. Deren Siege über die Regierungstruppen in letzter Zeit hatten entscheidend zum Sturz von Präsident Nadschibullah in der vorigen Woche beigetragen.

Während Masud sich weiter als Fürsprecher einer „Versöhnung“ unter den zum Teil heftig verfeindeten Mudschaheddin-Gruppierungen profiliert, gibt sich sein Rivale Gulbuddin Hekmatyar von der Hesb- i-Islami weiterhin unversöhnlich. Ein Sprecher Hekmatyars erklärte, Hekmatyar könne keiner Lösung zustimmen, an der Masud beteiligt sei. Der hat, um einen Angriff von Hekmatyar auf Kabul zu verhindern, seine Verbände einen Verteidigungsring um Kabul ziehen lassen. Masud, der in den vergangenen Tagen mehrfach mit dem afghanischen Außenminister Abdul Wakil zusammentraf, hat die Bildung einer islamisch ausgerichteten Übergangsregierung vorgeschlagen, in der alle Mudschaheddin-Gruppen — auch die Hesb-i-Islami — ebenso vertreten sein sollten wie das Militär und Nadschibullahs Vaterlandspartei.

In den vergangenen Wochen haben sich die verschiedenen Gruppierungen auf ihre Weise auf alle Eventualitäten vorbereitet: indem sie Gräben aushuben, Höhlen füllten und Panzer, Raketen und anderes Kriegsgerät im Werte von Millionen von Dollars versteckten.

Der UNO-Vermittler Benon Sevan appellierte gestern wieder an die Mudschaheddin-Gruppierungen, eine Waffenruhe einzuhalten. Auch die saudi-arabische Regierung, einer der wichtigsten Geldgeber der Rebellen, appellierte inzwischen an die Mudschaheddin, ihre Streitigkeiten beizulegen. Die Interessen des afghanischen Volkes müßten über allem stehen, hieß es in einer am Montag abend von der Nachrichtenagentur 'spa‘ verbreiteten Meldung. König Fahd erklärte: „Laßt das Blut der Märtyrer nicht verschwendet sein.“

Auf einer Pressekonferenz in Kabul rief Sevan die Mudschaheddin am Montag auf, ihre „persönlichen und politischen Ambitionen“ hintanzustellen und den seit fast 14 Jahren anhaltenden Bürgerkrieg in Afghanistan zu beenden. „Wir haben nicht Monate, vielleicht nicht mal mehr Tage Zeit. Es gibt genug Tote in Afghanistan. Es gibt genug Zerstörung“, sagte der UNO-Emissär.

Der gestürzte afghanische Präsident hält sich nach Auskunft von Diplomaten weiterhin in einem UNO- Gebäude in Kabul auf. Milizionäre hatten am vergangenen Mittwoch seine Flucht verhindert. Nadschibullah will, wie es heißt, nach Neu- Delhi reisen, wo sich seine Familie bereits aufhält. li