Nachgefragt: Patienten das schwächste Glied

Die Pläne der Bundesregierung, drei unbezahlte Krankheitstage für ArbeitnehmerInnen einzuführen, stoßen auf heftigen Widerstand. Die taz fragte bei den „Kritischen Ärzten“ nach.

taz: Was halten Sie davon, die Karenztage wieder einzuführen?

Hermann Schulte-Sasse (Liste Gesundheit): Nichts, weil die Begründung dafür in die Richtung geht, daß man das inzwischen viel zu teure Gesundheitswesen abspecken müßte, und da greift man das schwächste Glied, nämlich den Patienten. Aber erst müßte man andere kostenträchtige Schwachstellen im Gesundheitswesen diskutieren.

Welche?

Es gibt eine Überverordnung von Arzneimitteln, dort könnte man einsparen. Allein im vorletzten Jahr wurden überflüssige oder unsinnige Arzneimittel im Wert von knapp sechs Milliarden Mark verordnet.

Aber das Argument, daß das Gesundheitswesen zu teuer ist, stimmt?

Nein, das kann man auch nicht sagen. Wie will man definieren, wie teuer ein Gesundheitswesen sein sollte? In Relation zum Bruttosozialprodukt liegen die Kosten des Gesundheitswesens durchaus in der Größenordnung anderer Industrieländer. Zum Beispiel die USA oder Schweden geben viel mehr aus als wir. Zu teuer ist ja auch eine politische Werteentscheidung, darüber kann nur die Gesellschaft entscheiden. Und wenn die Gesellschaft sagt, das Gesundheitssystem bei uns in Deuschland ist zu teuer, dann muß man natürlich sparen.

Über die Einsparungen durch die Karenztage soll die geplante Pflegeversicherung finanziert werden. Ist das überhaupt möglich?

Nein, auf keinen Fall. Ich halte es auch für falsch, beim Patienten anzufangen, weil der sich am wenigsten wehren kann. Wir müssen erstmal gucken: Was ist überflüssig, was ist unsinig? Warum gibt es immer noch zu viele Röntgenuntersuchungen? Warum gestatten wir immer noch, daß niedergelassene Ärzte oder auch Kliniken sich mit teuren Geräten vollstopfen dürfen, die gar nicht notwendig wären? Warum müssen unsere medizinischen Geräte so teuer sein?

Und was halten Sie von dem Argument, die Ärztehonorare seien zu hoch?

Das ist so allgemein sicher nicht richtig, aber auch das ist ein Thema. Es gibt unter den niedergelassenen Kollegen Spitzenverdiener, und es gibt Kollegen, die verdienen mit mehr Arbeitsstunden weniger als der normale Klinikassistent. Das sind vor allem die, die sich um eine patientenorientierte Medizin bemühen. Also muß man innerhalb der Ärzteschaft über Einkommensungerechtigkeiten reden.

Es gibt eine ganze Reihe von Sparmöglichkeiten, allerdings bei sozialen Gruppen, die mehr Einfluß und Macht haben. Und die läßt man deshalb in Ruhe und greift stattdessen zur Selbstbeteiligung der Patienten. dr