Versicherer in Blechbüchsen

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrigläßt (14): Budenmeile Jüterboger Straße

Berlin. Wohl kaum eine andere bundesdeutsche Großstadt leistet sich eine ganze Straßenlänge mit ausrangierten Wohnmobilen, verkleideten Bretterbuden und engen Bürocontainern. Doch Berlin, die Metropole der Superlativen, unterhält entlang der Jüterboger Straße im Bezirk Kreuzberg eine wahnwitzige Budenmeile, die alle automobilen Raser lieben und hassen zugleich. Jahrmarktgleich ziehen dort Kraftfahrzeugversicherer ihren Kunden nach der Anmeldung des PKWs oder Motorrads das Geld für Nummernschilder, Haftpflicht- und Insassenversicherungen aus der Tasche.

Die rund fünfzig Buden im Rücken des Kraftfahrzeugverkehrsamts (KVA) säumen den Gehsteig. Zwischen ihnen stehen an sonnigen Tagen ein paar Stühle mit Tischchen aus der integrierten Kfz-Kneipe, in der die Promillesünder ihren Kummer mit Schultheiss-Bier hinunterstürzen. Die Containerstraße gleicht auf den ersten Blick einem bunten städtischen Paradiesvogel, der marktschreierisch aufgepeppt und farblich geschmückt seine Kundschaft anlockt. Die nomadenhaften Versicherer in ihren nomadenhaften Kisten umgibt ein merkwürdiges Flair, erinnert doch der schnelle Vertragsabschluß in den muffigen Wohnmobilen an unseriöse Händler. Ob bei der Allianz, der Colonia, der HUC oder dem Raiffeisen-Volksbankenbund, überall geht Cash vor Carry, gemischt mit dem Geruch von Blech und Druckerschwärze, billigem Dekor, Reklameschildern sowie Kalenderblättern mit kurvigen Halbnackten.

Die Versicherungsstraße trägt ihre Oberfläche als Manifest. Die baulichen Kistchen, ob schrill geschmückt oder phantasielos, stehen für ein aktuelles Bild. Als Objekte der Austauschbarkeit und der Beliebigkeit, aus Blech gestanzt und mit einer dünnen Außenhaut überzogen, symbolisieren sie die rasende Vergänglichkeit, der Architektur ausgesetzt scheint, ist sie nur für den Augenblick gebaut, quasi ad-hoc. Die zu schnittigen Oberflächen erstarrten Materialien erinnern zugleich an den Wandel, dem die Stadt ausgesetzt ist, an die schnellen Geschichten zu deren Komplizen sich die Architektur gemacht hat. Dennoch hat sich der Zustand der Jüterboger Straße gerade gegen diesen sinnbildlichen Wandel erhalten. Für ein langes Leben der provisorischen Budenmeile sorgen nicht das motorenlärmähnliche Gebrüll der Gewerbetreibenden, der ADAC und die Lobby gehfauler Raser, sondern auch ihre widersprüchliche Exotik, an der wieder gekratzt wird.

Seit den verkehrseuphorischen Aufbaujahren halten sich die Bauten vor der dunkelroten Backsteinwand des KVA wie die fliegenden Händler im Schatten der Stadtmauer. Der ruhelose bauliche Antagonismus in der Stadt wandert erst weiter, wenn die fahrenden Untersätze stehen. Rolf R. Lautenschläger