Darf's 'ne Haltestelle mehr sein?

■ Zu Besuch im Souvenirshop der BVG/ Im Angebot ausrangierte Haltestellen, Stempel und Bierkrüge/ Besonders begehrt sind Zahlboxen und »sozialistische« Zielschilder der Ostberliner BVB/ Etwa 1.000 Stammkunden von Tokio bis Australien

Schöneberg. Wer sich in der Hauptstadt der DDR beim Schwarzfahren erwischen ließ, muß sich ziemlich dämlich angestellt haben. Die hammerschlagbraunen Zahlboxen, die in jeder Straßenbahn, an jedem U-Bahnhof aufgestellt waren, hatten den Fahrschein schließlich auch dann herausgerückt, wenn man den Obolus von 20 Pfennig nicht entrichten wollte — man mußte nur den schwarzen Hebel mit Schwung nach unten ziehen. Der »Fahrgast-Selbstkontrolle« und den offenen Ohren des BVB-Personals ließ sich leicht ein Schnippchen schlagen, wenn man mit einem Hustenanfall das ausgebliebene Klimpern des vorgetäuschten Geldeinwurfs übertönte.

Wer glaubt, daß die Zahlboxen längst auf Marzahns Müllkippen verrosten, irrt. Die absurden Automaten sind heute der Renner im Souvenirshop der BVG in der Potsdamer Straße. Fast 50 Mark muß man dort für eine Originalzahlbox auf den Tisch legen, bekommt allerdings zwei BVB-Fahrscheinrollen und drei Schlüssel dazu. Das war sozialistische Ordnung: einen Schlüssel zum Einlegen der Fahrscheine, einem zum Einklinken der Box in die Halterung und einen dritten zur Entgegennahme der Aluchips.

Von ausrangierten Haltestellen über Zielschilder bis zu Stempeln und Entwerterzangen kann man im BVG-Souvenirshop fast das gesamte Altrepertoire des Berliner öffentlichen Nahverkehrs erwerben. Die meisten Verkaufsstücke sammelte der 55jährige Ladenleiter Klaus Wunsch in Eigeninitiative bei den Betriebshöfen ein. »Die Technokraten kriegen das nicht auf die Reihe«, schimpft er auf die unflexible BVG- Spitze. Wunsch selbst kommt aus dem Fahrdienst und kann auf alte Verbindungen bauen. So bekommt er auf dem Nachhauseweg schon mal einen wertvollen Stempel für den Verkauf in die Hand gedrückt. Schon in den siebziger Jahren hatte Wunsch in seinem Büro ausrangiertes Inventar angeboten. Nachdem die BVG den Souvenirshop im Oktober 1990 eröffnete, konnte er den Umsatz auf rund 10.000 Mark im Monat steigern.

»Ich habe früher in Berlin gewohnt und bin immer mit dem 4er Bus zur Arbeit gefahren«, erklärt der 45jährige Jürgen Kaminski aus Braunschweig, warum er für 25 Mark eine Haltestelle und für 5 Mark einen Reiter des 4er Busses erstanden hat. In seinem Hobbykeller sollen die Erinnerungsstücke einen neuen Platz finden.

»Nur wenige Kunden schauen zufällig im Souvenirshop vorbei«, sagt Klaus Wunsch. Die meisten Besucher gehören zu rund 1.000 Stammkunden, die auch aus Tokio oder Australien extra zu ihm in die Potsdamer Straße kämen. »Sammler werden bevorzugt behandelt«, erklärt der Ladenleiter. Davon erhofft er sich, auch mal ein gutes Stück zurückzubekommen.

Neben ausrangierten Originalen frischte die BVG das Ladensortiment mit Kitsch für die ganze Familie auf. Für Papi gibt's Bierkrüge und Schlips mit Doppeldecker-Bildchen, für Mami Wandteller mit S-Bahn- Malerei und für die Kleinen U-Bahn- Bastelbögen zum Ausschneiden. Zu Protesten von Antifas und jüdischen Organisationen führte der Nachdruck des Olympia-Liniennetzes von 1936, in dem unter anderem die damalige U-Bahn-Station »Adolf-Hitler-Platz« verzeichnet ist. »Was soll's, das ist Geschichte«, hält Klaus Wunsch der Kritik entgegen: »Es gab auch mal einen Leninplatz.«

Doch gerade die Zielschilder der einverleibten BVB mit »sozialistischen« Namen sind besonders begehrt, räumt der Leiter des Souvenirshops ein. Die besten Stücke wie »Leninallee« oder »Rosa-Luxemburg-Platz« sind sogar schon weg. »Kaufen Sie lieber heute als morgen«, empfiehlt Klaus Wunsch und erinnert an die Geldwechsler, die Westberliner Busschaffnern einst um den Hals baumelten.

1972 hatte Wunsch die sogenannten Galoppwechsler für 15 Mark pro Stück an Flohmarkt- und Zeitungshändler verkauft. Heute werden sie für 700 bis 1.300 Mark nur noch unter der Hand angeboten. Micha Schulze

Souvenirshop der BVG, Potsdamer Straße 182, Schöneberg, geöffnet montags bis freitags von 9 bis 13, mittwochs bis 18 Uhr.