PAARE WARTEN ZU LANGE MIT BERATUNG

Rechtzeitig warnen

Lindau (dpa) — Paare mit oder ohne Trauschein durchleben nach Beobachtung der Schweizer Familientherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin oft jahrelange Krisenzeiten, ehe sie sich einer Therapie unterziehen. „Aus Schamgefühl oder Mißtrauen gegenüber den Experten“ warteten viele Paar zu lange, um sich psychologisch beraten zu lassen, sagte die Expertin am Dienstag zur Eröffnung der 42. Lindauer Psychotherapiewochen. Nicht selten komme es bei Paaren in Konfliktsituationen zu schweren Magenbeschwerden, Migränen, Erschöpfungszuständen oder Gewaltanwendung, ehe eine Therapie erfolgt. „Es ist unglaublich, wie viele Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg körperliche Gewalt oder Liebesentzug ertragen.“ Hausärzte könnten nach Ansicht von Paartherapeuten nach entsprechender Weiterbildung rechtzeitig „Warnungen geben“ und Paare an kompetente Therapeuten empfehlen. Bislang seien gute Erfahrungen gemacht worden mit Hausärzten, die die jeweilige Familienperspektive von Patienten berücksichtigten. Die zunehmende Entfremdung von der Außenwelt hat nach Auffassung mehrerer Experten zu einem „Wahnsinnsanspruch an das Glück in einer Zweierbeziehung“ geführt. Bei vielen Paaren herrsche die Vorstellung, die Liebe zwischen Mann und Frau kompensiere alles, was an Konflikten in der Außenwelt auftritt. Viele Paare gehen heute nach Beobachtung von Frau Welter-Enderlin auseinander, „weil sie viel zuviel voneinander erwarten“. Die Vorstellung von der Zweierbeziehung als seligmachende Insel mit überhöhten Anforderungen an den Partner sei bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. Rund 3.500 Ärzte, Psychologen, Sozialarbeiter und andere im psychosozialen Bereich Tätige befassen sich noch bis zum 2. Mai mit Fragen der psychotherapeutischen Weiterbildung.