Troeller traut sich was

■ Kinder der Welt: Der Preis der Freiheit, ARD, 21.30 Uhr

Der Titel läßt vermuten: Der Preis der Freiheit für Kinder in Eritrea kann nichts anderes als Elendsbilder bedeuten. Doch Gordian Troeller belehrt uns eines Besseren. Der Dokumentarfilmer beginnt seine Reportage mit singenden Kindern, und immer wieder schauen frech grinsende Gesichter in die Kamera. Der Preis der Freiheit ist hoch — doch es tut sich was in Eritrea, zeigt Troeller.

Waschstunde im Waisenhaus. An großen Steintrögen stehen Kinder, die von den Zehen bis zu den Haarspitzen eingeschäumt werden. Schnitt. Fast dieselbe Szene spielt sich jetzt im Freien ab, diesmal signalisiert das leichte Flackern des Filmes, daß er älter sein muß. Beidemal sind die Erwachsenen dieselben, Männer und Frauen der eritreischen Volksfront vor und nach ihrem Sieg gegen die Äthiopier. Der ältere Film entstand vor fünf Jahren; schon damals kümmerten sich die Soldaten um Kriegswaisen, heute ist es für sie zum Zivildienst geworden.

Der Preis der Freiheit ist Troellers vierter Film über das Land am Roten Meer. Der ehemalige 'Stern‘- Reporter berichtet seit drei Jahrzehnten über die Dritte Welt, vor kurzem bekam er für sein Gesamtwerk die »Besondere Ehrung« des Grimme- Preises. Er beobachtete Eritrea in der Zeit des dreißigjährigen Befreiungskrieges, und es läßt sich nicht überhören, daß er in seinem neuesten Film den Sieg der Befreiungsfront zwischen den Bildern feiert. Dabei bekommt Europa sein Fett ab. Zwar spende es jetzt für Nahrungsmittel, doch bis zu Eritreas Befreiung hätte es den Konflikt ignoriert.

Die größten Opfer des Krieges sind die Waisenkinder. Ihnen ist der Film gewidmet. Schade, daß sie in keiner Szene befragt werden, die Kamera reduziert sie zum Objekt. Dennoch sind manche Bilder so stark, daß sie den Sprechertext vergessen lassen: Ein Kind spielt im flachen Wasser auf einem Autoreifen, umringt von einem Meer von Autowracks. Zwei Waisenkinder, die mit Adoptiveltern und Geschwistern in einem Zimmer leben müssen, weil sie so den arbeitslosen Eltern Zuschüsse bringen, von denen die ganze Familie lebt.

Troeller beschränkt sich nicht darauf, von der Situation der Kinder zu erzählen, sondern erklärt das multikulturelle Konzept der Volksfront zum Gesamtmodell. Die Volksfront führte in den Schulen die unterschiedlichen Muttersprachen des Vielvölkerstaates wieder ein. Der Staat als Beschützer kultureller Vielfalt sei heute eine Rarität, hätten doch selbst europäische Länder ihre Minderheiten unterdrückt. Keine besonders kühnen Worte und trotzdem im Fernsehen selten zu hören. Eine konventionell gemachte Reportage und dennoch: Da traut sich einer was. Corinna Emundts