Nichts Neues vom Phantom

Ein Murnau-Briefwechsel  ■ Von Sven Hanuschek

Friedrich Wilhelm Murnau, der eigentlich Plumpe hieß und 1931 bei einem Autounfall in Kalifornien starb, ist einer der bedeutendsten Regisseure — nicht nur des deutschen, nicht nur des Stummfilms. Sollten Remakes eine Art Qualitätskriterium darstellen, wären sie eine Bestätigung — alle Murnau-Remakes sind mißlungen oder nur peinlich, aber es gibt sie. Er hat eine große Gemeinde unter Filmschaffenden, Godards Allemagne 90 ist ein junges Beispiel, Rohmers Buch über Murnaus Faust ein älteres. Die Literatur über seine 21 Filme wächst, das Wissen über deren Urheber nicht. Wir wissen nur, daß er ein distanzierter Herr war, haben dazu ein paar Anekdoten aus dem Umfeld der Dreharbeiten, einige dürftige Lebensdaten, Fotos eines glatten, ein wenig spöttischen Gesichts.

Im Bielefelder AJZ-Verlag hat nun die Murnau-Gesellschaft den Briefwechsel zwischen dem Schauspieler und Theaterregisseur Lothar Müthel und Murnau herausgegeben: Wenn Ihr Affen nur öfter schreiben wolltet! Die Korrespondenz ist schmal; sie umfaßt die Kriegsjahre 1915 bis 1917, und Müthel ist der Schreibseligere. Beide waren Schauspieler am Deutschen Theater in Berlin gewesen, unter „Max“ (Reinhardt), beide gehörten zum Kreis um Else Lasker-Schüler, der eine ist Soldat, der andere nicht; und so schriebt Müthel dem Herrn Leutnant vor allem von dem, was im Feld fehlt: Kultur. Es ist nicht zu überlesen, daß wir uns im expressionistischen Jahrzehnt befinden; dessen Sprache erscheint hier, in solcher Alltäglichkeit, eher als Hilflosigkeit des Ausdrucks denn als Gewinn von Möglichkeiten: „entsetzliche Eventualitäten und Bilder (....), welche mich oft dämonisch überall verfolgten und knebelten und vor allem gärten in mir selbst urhafte neue Gefühle, neue Welten und Erkenntnisse schrien in mir wild auf und wollten erhört und geformt werden. Diese Dinge zusammen ließen keine Klarheit (...) aufkommen“, schreibt Müthel. Herwarth Walden ist eine „(m)erkwürdige Type“, Chagall ein „kosmische(s) Kind“, alle sind genial, alle begeistern ihn, bis auf die „kleinen schmutzigen Judenjungens“ bei den Futuristen.

Solche schwallenden Emotionen finden sich bei Murnau nicht, auch kein Antisemitismus; er bleibt trocken, gibt sich einmal mehr nicht preis. Das Äußerste sind Galligkeiten, wie eine Seitenbemerkung zum „Wirrwarr im Hirn der Lasker“ oder der hier titelgebende Satz, schamhafte Andeutungen über Krieg und Angst, „man lebt noch“, „wenn man heimkommen sollte“, die aber gleich so burschikos gewickelt werden, daß ich sie nicht ganz ernst nehmen mag. Ein einziges Absätzchen scheint unverstellt, ohne Distanz, eine Phantasie mit der Atmosphäre späterer Filme: „Draussen vor unserm Drahtverhau blüht die Heide, lange violette Wellen und dahinter die blaugrünen Kiefernwälder, und die Sonne im Untergehen; dass man nicht aus dem Graben steigt und das Wandern beginnt, hutlos, kleiderlos: nur ein Mensch ohne Nation, ich glaube nicht, dass jemand schiessen würde; aber nachts die verirrten Kugeln würden über ihn herfallen, dass er verblutete im schweren Nebel über der Heide.“

Der Herausgeber Eberhard Spiess und seine Mitarbeiterin Christa Reichel haben den Briefwechsel in gut sozialistischer Tradition kommentiert, das heißt es ist auch zu erfahren, daß Hamlet von Shakespeare und die Räuber von Schiller sind; allerdings werden auch die Lücken der Recherchen offengelegt. Ein „Zeitbild“ entsteht trotz aller Bemühung nicht, dazu war der Freundeskreis zu klein, der Umfang der Briefe zu schmal. Schließlicn gibt es da noch ein nervenzermürbendes Vorwort des Herausgebers, gegen das sich jemand hätte wehren sollen, bevor es erscheint: Da ist von der Schauspielerin Toelle „mit ihrer liebreizend-damenhaften Erscheinung“ die Rede, von Elsa Wagner und „ihrer derb- charmanten Fraulichkeit, verbunden mit Intelligenz und Bildung“; Fontane wird „verständnisvolle(r) Humor und kulturhistorische (...) Treffsicherheit“ bescheinigt und so fort. Nein, das meint er nicht ironisch; das sind Komplimente!

Das Objekt des Bandes entzieht sich also, und die schöne Gestaltung wird durch den Apparat vermiest; ich wünsche dem Verlag mehr Glück bei einem zweiten Band dieser Murnau-Schriften.

Eberhard Spiess (Hg.): Wenn Ihr Affen nur öfter schrieben wolltet! Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm Murnau und Lothar Müthel 1915-1917. Schriften der Friedrich Wilhelm Murnau Gesellschaft Band1, AJZ Verlag, 76Seiten, 18DM.