"Hoffnungsvoller Ansatz"

■ betr.: "Bonner Beton gegen RAF-Angebot", taz vom 15.4.92

betr.: „Bonner Beton gegen RAF- Angebot“, Tagesthema und Kommentar in der taz vom 15.4.92

Seit Februar 1979 habe ich Menschen, die wegen Terrorismus verurteilt wurden, auf ihren Wegen begleitet. Ich war im Gespräch mit Häftlingen und ihren Angehörigen, aber auch mit Politikern. Ich bin immer wieder dafür eingetreten, den Gefangenen gegenüber mehr Menschlichkeit walten zu lassen, weil ich bis Mai 1990 als Knastpfarrer in der JVA Diez die Erfahrung gemacht habe, daß Härte der falsche Weg ist. Eindringlich habe ich plädiert für ein anderes Verhalten gegenüber RAF- Häftlingen. In den vergangenen Jahren hat es leider an Vernunft, Fingerspitzengefühl und Zivilcourage gefehlt, um zu einer gewaltfreien Konfliktlösung zu finden. Der „Versöhnungsvorschlag“ von Bundesjustizminister Klaus Kinkel und der RAF- Brief vom 10.April 1992 bieten eine so noch nicht dagewesene Möglichkeit, Wege aus dem „Gewalt-System“ zu finden. Mit recht kann hier von einem „hoffnungsvollen Ansatz“ gesprochen werden.

Ganz anders aber die Reaktion vom CSU-Vorsitzenden Theo Waigel und von der stellvertretenden SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Herta Däubler-Gmelin. Unverzeihliche Fehler aus der jüngsten Vergangenheit tauchen wieder auf: kein Nachgeben, keine Sonderbehandlung, die Glaubwürdigkeit des Staates darf nicht erschüttert werden, keine Geschäfte mit Terroristen. Dabei wissen wir doch, wenn wir es wissen wollen, daß die Haftbedingungen in der Regel dem normalen Strafvollzug nicht angepaßt wurden. Als Gefängnisseelsorger in Diez habe ich die Erfahrung gemacht, daß die bis jetzt angewandten Techniken im Strafvollzug gescheitert sind und keine effektiven Konfliktlösungen hervorgerufen haben. Sie mußten ja scheitern, weil es nur Techniken waren. Strafe und Härte werden nie dazu führen, weder das eigene noch das Leben des anderen zu respektieren. Die Erfahrung hat mich gelehrt, daß konsequent Vertrauen schenken, ohne versteckte und klammheimliche Zielsetzungen, eine wesentliche Voraussetzung für einen echten Dialog mit inhaftierten Mitmenschen ist. Das gilt für RAF- Leute ebenso wie für andere Strafgefangene. Im Strafvollzug ist ein taktisches und diplomatisches Verhalten gang und gäbe, was sich allerdings nur katastrophal auswirken kann. Ich möchte als Seelsorger mit 17jähriger Erfahrung eindringlich die Politiker und die Verantwortlichen im Strafvollzug aufrufen, das „Versöhnungsangebot“ von Bundesjustizminister Klaus Kinkel und das „Gesprächsangebot“ der RAF anzunehmen.

Mir fällt dabei auf, daß gerade auch Politiker mit einer christlichen Überzeugung sich mit dem Versöhnungsgedanken so schwer tun. Gewalt läßt sich nicht mit Gewalt austreiben. Dies sollten wir endlich begreifen. Viele Menschen haben, verständlicherweise, Angst. Aber eine Befreiung von der Angst kann nicht dadurch erreicht werden, indem wir diejenigen, die die Angst verbreitet haben, in Gefängnissen einsperren. Und hier möchte ich ganz bewußt an die Opfer von Gewalttaten denken, die mein tiefstes Mitgefühl und Mitempfinden haben. Auch hier müssen wir uns vor Augen führen, wie es der Strafrechtler Hermann Bianchi formuliert: „Die Befreiung von Angst erreicht man ebensowenig dadurch, daß man den Opfern den Konflikt aus der Hand nimmt und ihn bürokratisch für sie lösen will. Befreiung von Angst läßt sich nur realisieren, wenn die Menschen selbst etwas tun können, selbst in die Regelung ihrer Konflikte mit einbezogen werden. Nur das kann Sicherheit geben. Befreiung bedeutet auch, daß dem Täter eine Zukunftsperspektive geboten wird. Um wieder in vernünftiger Weise mit den anderen zusammenzuleben, falls er dazu etwas beitragen kann, was ihm durch ein Strafsystem unmöglich gemacht wird.“

Der RAF-Brief bringt wichtige Erkenntnisse und Einsichten zum Ausdruck. Als Seelsorger würde ich hier den Begriff „Reue“, ohne daß ich mißverstanden werden möchte, anführen. Dieser Begriff hat in der Geschichte unserer Kultur eine große Rolle gespielt. Wenn wir aber diesen Begriff bei Strafrechtspflegern oder im Strafvollzug nennen, wird man entweder ausgelacht oder als „Utopist“ dargestellt. Sofort beschäftigen wir uns wieder mit dem Alltagsgeschäft der Auferlegung von Strafe, denn „Reue“ oder „Einsicht“ ist ja immer nur vorgetäuscht. Das gibt den inhaftierten Mitmenschen eben das schlimme Gefühl von Aussichtslosigkeit. Ich habe als Gefängnisseelsorger die Erfahrung gemacht, daß „Einsicht“ akzeptiert werden will. Gerade hier könnte das Versöhnungsangebot von Bundesjustizminister Klaus Kinkel, unterstützt durch den Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich dazu auch positiv geäußert hat, eine wesentliche Rolle spielen. Es fällt auf, daß gerade im Strafvollzug und in den Strafsystemen über den Versöhnungsbegriff am meisten gelächelt wird. Das ist sehr zu bedauern, weil es ein wichtiges Beispiel ist für Wirklichkeiten, die menschliches Leben wieder ermöglichen können. Auferlegung von Strafe führt nicht zur Versöhnung, verhindert diese vielmehr. Daß kranke und langjährige Inhaftierte entlassen werden, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Und es spricht auch nichts gegen eine Zusammenlegung der anderen Inhaftierten. Durch eine Annahme des Versöhnungsangebots von Minister Klaus Kinkel und das Gesprächsangebot der RAF würde der Staat sich keine Blöße geben oder Schwäche zeigen. Im Gegenteil: Er bewiese Souveränität. Hubertus Janssen,

Limburg-Eschhofen