Streikgelüste in Italiens erster Liga

Italiens Millionenkicker verlangen mehr Mitsprache im Verband: Die unbegrenzte Zulassung ausländischer Spieler sei das Ende des italienischen Fußballs/ Streikdrohungen spalten die Nation  ■ Aus Rom Werner Raith

„Guck dir das mal an“, entfuhr es dem Kollegen vom 'Corriere dello sport‘, „da marschieren gute hundert Milliarden Lire rum.“ Die Rechnung stimmte, zumindest wenn man die Ablösesummen der fünf fein gekleideten Asse des grünen Rasens zusammenzählte, die da am Mittwoch morgen in Rom eintrafen und sich ins Allerheiligste des italienischen Fußballbundes Federcalcio in die Via Po begaben; umgerechnet gute 130 Millionen Mark kamen da schon zusammen. Die Crème de la crème der nationalen Kickergilde war angetreten, um ihrem Interessenswalter Campana und seinem Vize Grosso den Rücken zu stärken: Es ging um den letzten Versuch einer friedlichen Lösung der schweren Auseinandersetzungen um die Zukunft des Fußballs im Lande.

Widerpart der Vialli, Zenga, Ferrara, Serena und Minotti: Verbandspräsident Mattarese, der sich bisher hartnäckig der Klärung und Entscheidung zweier wichtiger Fragen widersetzte, die Italien vom letzten Arbeitslosen bis zum Wirtschaftskönig Gianni Agnelli in zwei fast gleichgroße Lager spalten: Wieviel Ausländer dürfen pro Partie mitspielen, woher dürfen sie importiert werden, und welche Modalitäten gelten für ihre Aquisition und, zweite Frage, welche Mitsprache haben die Top-Kicker künftig bei Entscheidungen des nationalen Fußballverbandes.

Die zweite Frage scheint eher lösbar als die erste. Schon zu Zeiten des legendären Maradona hatten die Spieler verschiedene Male zum Streik aufgerufen und erst im letzten Moment abgesagt, als Verhandlungsbereitschaft signalisiert wurde. Bei einer dieser Gelegenheiten wurde das Verbandsstatut dahin geändert, daß „Vertreter der Spieler vor Entscheidungen des Verbandes gehört werden dürfen“. Doch dann folgte dem „dürfen“ keine Tat, und so wollen die Spieler nun grundsätzlich das Recht auf Gehör, ja mehr noch, einen regulären Sitz im Verband haben.

EG-Norm bedroht den italienischen Fußball

Der Untergang des Mattarese widerspricht dem unter anderem mit der Begründung, daß Spieler oft hin- und hertransferiert werden und mitunter auch ins Ausland gingen, so daß womöglich ständig irgendwelche Neuwahlen stattfinden müßten, außerdem seien dann wieder besondere Kündigungsschutzbestimmungen im Wege. Trotzdem scheinen hier die Parteien eher kompromißfähig als bei der ersten Frage.

Die nämlich ist speziell durch das Datum des 1.1. 1993 zusätzlich kompliziert worden. Die EG-Bestimmungen sehen freie Arbeitsplatzwahl vor, und so kann niemand einem Verein den Ankauf von beliebig vielen Ausländern versagen, sofern sie nur aus einem EG-Land kommen.

Der Verband, gedrängt von den superreichen Sponsoren der Top- Ten im Fußball (von Inter und AC Milano über Juventus Turin bis AC Napoli und AS Roma), versteckt sich hinter der EG-Norm und hat seit dem 14.Februar freie Fahrt für freie Millionäre beim Treter-Kauf gegeben. Aber da sind nun die hauseigenen Athleten vor: Sie sehen darin den Untergang des italienischen Fußballs schlechthin.

Unterstützt werden sie dabei von einer ansehnlichen Schar von Gewerkschaftern, Intellektuellen, Künstlern und Politikern, vom Verfertiger des italienischen Arbeiterstatuts (vergleichbar mit unserem Arbeitsrecht) Senator Gino Giugni bis zum Schriftsteller und Regisseur Luciano De Crescenzo. „Wie schon der Film mangels sinnvoller Schutzbestimmungen für unsere italienischen Regisseure und Produzenten total zusammengebrochen ist“, so De Crescenzo, „wird es auch bald keinen italienischen Fußball mehr geben, wenn der TV-Mogul Berlusconi und Fiat-Chef Agnelli um die Wette Ausländer einkaufen, um ihr Hobby noch prächtiger aussehen zu lassen.“ Die Version, die die Fußballer sich als Ausweg aus der EG- und Federcalcio-Norm ausgedacht haben, zeigt wieder mal eine der schönsten Seiten italienischer „Furbizia“, der legendären Schlitzohrigkeit. Gut, den Kauf von beliebig vielen Ausländern kann man also nicht verbieten. Wie aber steht es mit dem Einsatz der Legionäre? Den kann der Verband doch nach Belieben regeln, so wie er die Zahl der Ersatzspieler, der Torwarte oder die Abseitsregeln verändern kann.

Drei Wege, Ausländer einzuschränken

Eine Variante des Regelungsvorschlags sieht daher so aus, daß für jeden EG-Ausländer, der eingesetzt wird, ein Nicht-EG-Ausländer raus muß — letztere genießen ja nicht den Schutz der EG-Normen. Zweite Variante: Für die ersten drei Ausländer, die ein Verein einsetzt, gibt es keinerlei Beschränkungen hinsichtlich der Nationalität, wohl aber ab dem vierten — da dürfen nur EG-Mitglieder rein, was den Kreis der Attraktiven schon einschränkt.

Dritte Variante: Der Verband — daher die Wichtigkeit der Mitsprache durch die Spieler — regelt die Aquisitionsbedingungen so, daß zumindest der Zufluß extrakommunitärer Spieler stark eingeschränkt wird, etwa durch zusätzliche Zahlungen an die Kicker-Gewerkschaft. Ein Vorschlag, den jedoch auch die Spieler selbst nicht als recht wirksam ansehen angesichts der Tatsache, daß einzelne Sponsoren ja bereits umgerechnet mehr als 25 Millionen Mark Handgeld für berühmte Stürmer ausgeben.

Es geht um das Größte: den italienischen Fußball

Für Fußball-Italien entscheidet sich bei der Begegnung zwischen Verband und Spielervertretung freilich nicht nur, wieviel eigene Landsleute sie künftig noch auf dem Rasen sehen werden — viel wichtiger ist, jedenfalls für diese Woche, die Frage, ob denn nun das Toto vom Wochenende ausgespielt wird. Der Betreibergesellschaft gingen so an die 35 Millionen Mark Einnahmen, dem Volk das allabendliche Zittern um die dreizehn Richtigen und die dann fälligen Quoten verloren. „Und außerdem“, schrie am Ende einer Live-Übertragung zum Thema ein Fan ins Mikrophon des staatlichen Rundfunks RAI, „wir haben doch schon alle Busse gemietet und vorausbezahlt, um zu den Partien zu fahren. Wenn die nicht spielen, wer zahlt dann den Ausfall?“

Es war der Punkt, wo das Verständnis für die national gestimmten Kicker beinahe umgekippt wäre — reiche bis superreiche Leute, die streiken und dabei den armen Menschen Millionenchancen wegnehmen und bezahlte Busse leerlaufen lassen, das macht Unmut. Um so mehr bemühte sich Spieler-Vertreter Campana mit seiner Delegation ein ums anderemal klarzumachen, daß es diesmal — „wirklich, wirklich“ — nicht um eine Lira mehr geht, sondern nur „um den Erhalt unserer größten sportlichen Errungenschaft, den italienischen Fußball“.