Rößners Freilassung in Frage gestellt

Rechtsanwälte kritisieren Bundesanwaltschaft/ Der von ihr bestellte Gutachter wolle eine Umkehr des haftunfähigen Rößners „erpressen“/ Rößner angeblich einem Leben in Freiheit nicht gewachsen  ■ Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) — Die Initiative von Bundesjustizminister Klaus Kinkel (FDP), über eine vorzeitige Haftentlassung einzelner RAF-Gefangenen den Weg für eine politische Lösung des Terrorismus freizumachen, steht vor der ersten Bewährungsprobe. Das Oberlandesgericht in Düsseldorf muß in Kürze über die Frage einer Haftentlassung des seit 17 Jahren in Haft sitzenden Bernd Rößner (44) entscheiden. Heftige Vorwürfe richten in diesem Zusammenhang die Anwälte Rößners gegen die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe, die den Psychiater Professor Henning Saß beauftragt hat, ein Gutachten darüber zu erstellen, ob Rößner entlassen werden kann.

Nach den Angaben der Anwälte hat die Bundesanwaltschaft am 9. April bestätigt, daß sie das Gutachten „als Grundlage für die Entlassungsfrage nehmen will“. Saß käme in seiner Stellungnahme zu dem Schluß, Rößner wäre auf Grund seines Gesundheitszustandes „einem Leben in Freiheit derzeit nicht gewachsen“. Darüber hinaus habe Saß die Gefahr konstatiert, Rößner könne im Anschluß an eine Haftentlassung „wieder Anschluß an ihm vertrautes, extremes Gedankengut und damit verbundene Gruppierungen suchen“.

Der 44jährige Rößner wurde nach der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm, bei deren Erstürmung vier Menschen ums Leben kamen, wegen Mordes, Geiselnahme und versuchter Nötigung vom Düsseldorfer Oberlandesgericht im Juli 1977 zu zweimal „lebenslänglich“ verurteilt. Er steht — zusammen mit dem gesundheitlich ebenfalls stark angegriffenen RAF-Gefangenen Günter Sonnenberg — ganz oben auf der Liste derjenigen, die nach dem Willen des Bonner Justizministers noch in diesem Jahr aus der Haft entlassen werden könnten. Daß sich Rößner nach einer Freilassung wieder dem Terrorismus zuwenden könnte, wird von den Fachleuten in den Sicherheitsbehörden ausgeschlossen. Eine Haftunfähigkeit wird Rößner seit langem auch von dieser Seite bescheinigt.

Sollten die Absichten des Gutachters Saß, der für den Fall einer Freilassung eine Verlegung Rößners in eine psychiatrische Klinik anregte, vom Düsseldorfer Oberlandesgericht befürwortet werden, wird Kinkels Signal für eine „Versöhnung“ des Staates mit den früheren Terroristen erheblich in Frage gestellt. Eine solche Verlegung könnte allzu leicht als eine „Psychiatrisierung“ des Gefangenen verstanden werden.

Professor Saß, heißt es in der schriftlichen Erklärung der Anwälte weiter, „geht es in dem Gutachten um die Änderung der politischen Einstellungen“ Rößners und um eine „Relativierung“ seiner Überzeugung. Die Anwälte werfen Saß vor, mit einer Fortsetzung der Haft „eine allmähliche Umkehr nach chronischer sozialer und ideologischer Isolation“ erpressen zu wollen.

Kritisiert wird seitens der Anwälte besonders, daß der Psychiatrieprofessor bereits im mehreren Fällen für die bayerischen Justizbehörden im Fall Rößner tätig war. 1989, nach der Verbüßung von 15 Jahren Haft, waren die formalen Voraussetzungen für eine Überprüfung der weiteren Strafvollstreckung erfüllt. Rößner wurde im April 1989 nach 14 Jahren Gefängnis, darunter mindestens 10 unter Isolationsbedingungen, auch erstmals für „nicht regelvollzugstauglich“ erklärt. Als sich im Verlauf des damaligen 10. Hungerstreiks der RAF-Gefangenen auch Staatssekretär Kinkel und das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz für eine Entlassung des Häftlings einsetzten, glaubten viele, daß eine Freilassung Rößners in Kürze bevorstehe. Es kam jedoch anders. Rößner begann erstmals seit seiner Inhaftierung in der Straubinger Gefängnisgärtnerei zu arbeiten, er durfte deutlich mehr Besuche empfangen, und er hatte, wie es hieß, allgemein seine „sozialen Kontakte“ ausgeweitet. Was vermutlich mit dem sprichwörtlichen Silberstreif einer Haftentlassung zu tun hatte, fiel umgehend auf den Gefangenen zurück. In einer nachgeschobenen Stellungnahme hatte Saß erklärt, um den „positiven Prozeß weiter zu verstärken, solle der Gefangene nicht aus seiner gewohnten Umgebung herausgerissen werden“.