Mit Händen gegen Bagger

■ Ehemaliger jüdischer Friedhof erneut besetzt

Hamburg (taz) — Betend und mit geistlichen Gesängen verhinderten gestern über 100 aus Frankreich, Belgien, den USA und Israel angereiste orthodoxe Juden die Fortsetzung der Bauarbeiten für das umstrittene Einkaufszentrum auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs in Hamburg-Ottensen. Mit bloßen Händen schaufelten sie von Baggern aufgerissene Erde wieder zu und bedeckten sie mit herumliegenden Pflastersteinen. Dies sei die letzte Möglichkeit des Widerstands, da die Investoren entgegen der bestehenden Absprachen mit den jüdischen Autoritäten der Athra Kadisha die Bauarbeiten wieder aufgenommen haben, sagte der aus New York eingeflogene Rabbiner Hertz Frankel.

Nachdem in der Karwoche die Gespräche zwischen Vertretern der Athra Kadisha, einer orthodoxen Vereinigung zum Schutz heiliger jüdischer Stätten auf der ganzen Welt, und den Investoren gescheitert waren, blockierten am Dienstag nachmittag zwei Männer ein Baufahrzeug. Gegen beide wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Hausfriedensbruch und Nötigung eingeleitet. Der 26jährige Rabbiner Aaron Gärtner aus Israel soll gegen die etwa 30 Polizisten Widerstand geleistet haben, die aufgrund einer Anzeige der Bauherren die beiden Demonstranten vom Gelände schaffen sollten. Gärtner erlitt einen Kreislaufkollaps und mußte mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gefahren werden.

Aufgrund dieser Ereignisse hatten orthodoxe Juden weltweit zu der gestrigen Demonstration auf der Ruinenlandschaft mobilisiert. Die ersten trafen um 7 Uhr morgens ein und konnten noch durch das geöffnete Baustellentor auf das Gelände gelangen. Die später Eintreffenden kletterten in ihren traditionellen dunklen Mänteln und mit Pelz- und Filzhüten auf den Köpfen über den Bauzaun. Ein auf der Baustelle anwesender Vertreter der Investoren schwieg zu den Vorgängen. Die jüdische Gemeinde Hamburgs, die sich mit einer Umbettung der Erde einverstanden zeigte, hält sich weiterhin zurück — zu stark sind ihre Befürchtungen, die Orthodoxen könnten mit ihren Demonstrationen antisemitische Reaktionen provozieren. „Die wollen doch nur unser Geld“, schimpfte gestern ein Rentner am Rand der Baustelle. jk