DURCHS DRÖHNLAND
: Jasmin wächst, Haut verfault, Stille singt

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der nächsten Woche

Eigentlich aus den King-Crimson-Liebhabern News Of The Weak hervorgegangen, haben sich Smiles In Boxes dieses Faible immerhin soweit erhalten, um auf ihrer neuen EP Method of Defrosting deren The Great Deceiver zu covern. Das war's dann auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Smiles In Boxes haben nach mehreren halbgaren Versuchen (unter anderem mit Glamrock und Dancefloor) zu ihrem eigenen Stil gefunden. Sie spielen einen grandiosen Waber-Rock, der gekonnt die Brücke zwischen Seattler Grungerock und falsch verstandener Psychedelia von — sagen wir mal — Hendrix bis Young schlägt. Das äußert sich vor allem darin, daß sich die Offenbacher große Mühe geben, außergewöhnliche Gitarrensounds zu finden, oder auch schon mal überraschend eine Mundharmonika dazwischenplärrt. Dabei sind sie hochmelodisch und bei einigen Stücken gar chartstauglich, wenn da nicht diese fiesen Verzerrungen wären. Genau dafür muß man sie mögen.

Am 24.4. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 7

Folk und Punk gingen in Großbritannien ja bereits recht früh eine feuchtfröhliche Beziehung ein, aber meistens stand doch der Folk im Vordergrund. Bei Under The Gun ist dieser als Wurzel zwar noch erkennbar, aber im großen und ganzen spielen sie den guten, alten Punk aus dem Museum. Gelegentliche Ausflüge in den 3/4-Takt und vor allem die neu eingeführte, beherzte Fiedel sichern den Anteil an britischem Liedgut. Pig Ignorance sind eine britische Frauenband, die einen relativ konventionellen Hardcore samt Spuckgesang zum besten geben, ihr Augenmerk aber vor allem auf die Texte richten, die sich mit Abtreibung, Machismo und anderen Ausformungen männlicher Dämlichkeit beschäftigen.

Am 24.4. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Str. 157

Die Rettung der deutschen Sprache. Den Silverbones und den Tanzenden Herzen, beide aus Berlin, ist sie wichtig. Doch im Gegensatz zu den Bands der Neuen deutschen Welle pappen diese beiden einfach deutsche Texte über anglo-amerikanische Musik, beschränkt sich ihr Humor auf die Wortebene, während die Musik weitestgehend ohne ironischen Abstand reproduziert wird. Die Silverbones machen da noch einiges besser, kommen vom Funpunk, haben sich nach ihrer ersten LP Das Leben ist schön eine weibliche Stimme engagiert und vermehrt traditionelle Country-Elemente integriert. Weiterhin passiert dem sperrigen Deutsch, was es verdient hat — es wird malträtiert: »Sie lag ganz brav/ In ihrem Schlafgemach« oder »Nein, nein, nein/ Nein, das kann nicht sein«. Beim Reim-dich-oder-ich-freß-dich- Spiel haben auch die Tanzenden Herzen schon einige Gummipunkte sammeln können, aber ihr Manko ist immer noch, daß es zu wenige Menschen in Berlin gibt, die ihre Vorliebe für The Jam teilen. Beide Bands, sowohl die Silverbones als auch die Herzen, sind schon lange keine Hoffnungen mehr. In der verflossenen DDR gab es für so was eine treffende Kategorie: Amateurbands.

Am 25.4. um 21 Uhr im Bierkeller, Sigmundshof 17

Berlin hat sich auf leisen Sohlen zur Ska-Hauptstadt Europas gemausert. Das hier ansässige »Pork Pie«- Label ist inzwischen das größte des Kontinents, und immer mehr auch englische Bands versuchen bei den Kreuzbergern unterzukommen. Berliner Ska-Bands gibt es zwar nur eine Handvoll, aber die Gemeinde hier ist groß genug, um Woche für Woche ein wichtiges Konzert auswärtiger Kultfiguren zu verkraften. Diesmal stehen Mark Foggo's Skasters auf dem Speiseplan. Bereits 1979 gegründet, hat sich Herr Foggo inzwischen zum allgemein anerkannten Ska-Tier hochgedient. Die Skasters stehen eher für die punkbeeinflußte Aufarbeitung der Vergangenheit in Nachfolge der 2Tone-Bands als für die Wahrung der Traditionen. Off-Beat bleibt es allemal, und nur das zählt.

Am 25.5. um 22 Uhr auf der Insel

Die ehemaligen Australier Sweets Of Sin haben sich in Berlin inzwischen zu Lokalmatadoren hochgespielt. Ihre Affinität zu Deutschland (Sänger Frank Mankyboddle ging hier zur Schule) und vor allem zur Kabarett- Tradition der Zwanziger ist allerdings nur eine kleine Facette ihrer Musik, die mit French Horn, Querflöte, Klarinette, Saxophonen und einer jazzigen Rhythmusarbeit scheinbar zuviel integrieren möchte. Die Außergewöhnlichkeit der Sweets Of Sin besteht darin, aus diesen divergierenden Elementen eigentlich viel zu intelligenten Pop zu machen, zu dem man aber auch ganz schnöde tanzen kann — egal, ob die Worte nun deklamiert werden oder in der Ethno-Kiste gegrabbelt wird.

Am 26.4. um 22 Uhr im Franz Club, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg

Ende der achtziger Jahre waren die Instigators eine der wichtigsten Polit-Hardcore-Bands Britanniens. 1989 lösten sie sich überraschend auf, frönten dann zwei Jahre teilweise der Gartenarbeit, um im letzten Jahr wieder zusammenzufinden. Wer sie hört, kann sich vorstellen, daß eine Band wie Jingo de Lunch durchaus von ihnen beeinflußt worden ist. Ihre Musik ist schnell, mit der einen oder anderen rhythmischen Spielerei ausgestattet, hart und immer melodisch. Inzwischen vielleicht etwas überholt, aber selten waren die Zeiten schneller als im Moment.

Zusammen mit Krysa am 26.4. um 22 Uhr im K.O.B.

Zuerst einmal sind die Whisky Priests eine Folkkapelle aus Nordengland. Doch im Gegensatz zu ihren bisher erfolgreicheren Kollegen von den Pogues oder den Men They Couldn't Hang haben sie sich noch nicht so weit von der traditionellen Spielweise entfernt. Ein Großteil ihrer Songs sind Standards und Originale, die gleichberechtigt neben den Eigenkompositionen stehen. Der Gesang ist absolut nicht zu verstehen. Im Verhältnis zum Geordie-Dialekt von Sänger Glenn Miller äußert sich Shane McGowan in reinstem Oxford-English. Auch wenn die Whisky Priests konservativer und bodenständiger sind als andere vergleichbare Bands, heißt das noch lange nicht, daß sie kein mörderisches Inferno entfachen; denn wenn die Engländer in irgendwas noch wirklich gut sind, dann im Feiern.

Am 26.4. um 20 Uhr im Huxley's Jr., Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Begonnen hatten L7 mit gnadenlosem Bikerrock, der es an Stumpfheit durchaus mit den Königen der Monotonie, den Cosmic Psychos aufnehmen konnte. Inzwischen bei der Industrie gelandet, versuchen sich die vier Frauen aus Los Angeles an etwas konventionellerem Heavy Metal, ohne die ihnen eigene Zähigkeit zu vergessen. Zudem verstehen sie es, wie anno dunnemals die Go-Gos, perfekte Melodien mehrstimmig noch perfekter zu machen. So wird Bricks Are Heavy definitiv eines der besten Metal-Alben dieses Jahres werden, und L7 wird die Nachfolge von Girlschool nicht mehr zu nehmen sein; auch deshalb, weil sie es weiterhin verstehen, mit ihrem Frausein offensiv umzugehen und sich nicht nur als dekoratives Beiwerk zu verstehen: L7 fahren die Harley eben selbst, anstatt sich nur hinten drauf festzuklammern. Mit dem Schlampen-Image, das ihnen gerne angehängt wird, verfahren sie völlig angebracht: Sie kümmern sich nicht drum. Oder ist es immer noch etwas Besonderes, wenn Frauen Rock machen?

Am 26.4. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz

Siebzehn Jahre, siebzehn LPs, siebzehnmal Monsterrock. Rush gehören zu den letzten überlebenden Dinosauriern einer Phase in den Siebzigern, als Bands noch darauf stolz waren, auf der Bühne ihre Platten Ton für Ton reproduzieren zu können. Eine Zeit, in der zu viele Leute Musikmachen mit Spielenkönnenmüssen gleichsetzten, nur noch ein einziges großes Gähnen produzierten und sich dazu noch lächerlich machten, wenn sie zum Beispiel klassische Musik zu integrieren oder kopieren versuchten. Die Kanadier waren damals zwar nur zweite Wahl und auch gar nicht so schlimm — weil sie sich meistens zu ihrem pompösen Heavy Metal bekannten —, aber was soll das heute noch? Auf dem Innersleeve der neuen Platte Roll the Bones prangt dann auch selbstkritisch der Schwanzansatz eines reichlich faltigen Elefanten. Das interessantere Konzert findet wieder einmal vorher statt. Die Vorgruppe Primus aus San Francisco tut sich den im Moment üblichen Crossover im Hardcore an. Zu harten Gitarren gibt es einen knallenden Funk- Rhythmus. Primus gehen aber noch einen Schritt weiter und verlieren sich durchaus auch mal in freejazzigen, scheinbar konturlosen Improvisationsexzessen. Welcher Trottel hat diese Band-Kombination zusammengestellt?

Am 27.4. um 20 Uhr in der Eissporthalle, Jafféstraße, 1-19

Im Rahmen des Anti-Rassismus-Logos »Aufstehn '92« sollen über das ganze Jahr kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Organisiert wird die Reihe, in der vom Theater bis zum Konzert alles stattfinden soll, von der »Streuhand«. Künstler und Veranstalter stellen sich unentgeltlich zur Verfügung, die Gelder gehen an »S.O.S. Rassismus«. Diesmal spielen zum guten Zwecke: Rasca Cocous, die perfekteste Llyod Cole & The Commotions- Imitation neben Llyod Cole & The Commotions selbst, die Benjamins, die musikalischsten Perückenträger Berlins, und Sven Schumacher, die lieblichste Stimme, die je Grant Hart kopierte. An der Abendkasse werden schlappe zwölf Deutschmark für die gute Sache verlangt.

Am 28.4. um 20.30 Uhr im Loft

Er ist der Mann mit der Mütze. Axel Heilhecker spielte zuerst bei der Food Band, dann bei den Deserteuren für Wolf Maahn die Gitarre und ist auch sonst einer der beschäftigsten Studiomusiker der Republik. Auf seiner ersten Solo-Platte Strange Sex demonstriert er zwar nicht vordergründig seine Fingerfertigkeit, aber trotzdem bleibt das Debüt etwas hausbacken. Vom Schweinefunk über BumBum-Rock bis zu atmosphärischen Klangbildern macht ein Gitarrist endlich mal alles, was er schon immer machen wollte. Was dann rauskommt hat zwar eine extreme Stilvielfalt, ist aber halt auch gut abgehangen. So was passiert, wenn sich Leute in Studios einschließen, um dort ausgiebig an Reglern zu fummeln. Aber was ist eigentlich unter der Mütze?

Am 29.4. um 20.30 im Loft

Zum Schluß noch der unvermeidliche Tip für unsere Freunde mit den großen, tränenbenetzten Augen, dem verletzten Herzen und der rauhen Welt um sie rum. Ihr Konzert findet auch statt. And Also The Trees sind recht diffizile Soundbastler, in deren Songs immer noch der Jasmin wächst, Haut verfault, die Stille singt und Menschen vornehmlich mit den Händen in den Manteltaschen an nebligen Flußufern entlangspazieren. Dazu klimpern dann die Gitarren, geigen auch schon mal Geigen, blubbert der Rhythmus in genau der Geschwindigkeit, die eine innere Unruhe symbolisieren soll. Und die Stimme klingt wie aus Marinade. Trotzdem sind And Also The Trees eine gute Band, jedenfalls mindestens genauso gut (oder eben schlecht) wie The Cure, mit denen sie penetrant verglichen wurden, weil beide Combos Anfang der 80er befreundet waren. Den Reigen der Düsternis komplettieren In The Nursery aus Sheffield und Pink Turns Blue, die inzwischen von Köln nach London umgezogen sind.

Am 30.4. um 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt Thomas Winkler