Prinzip "Sozialdarwinismus"

■ betr.: "Fanal ohne Folgen", taz vom 15.4.92

betr.: »Fanal ohne Folgen«, taz vom 15.4. 92

Die fünfmonatige Besetzung der TU-Räume durch rund hundert Flüchtlinge bleibe ohne Folgen, meint enttäuscht der Vizepräsident der TU, Wolfgang Neef. Die zuständigen Behörden, darunter auch die Senatorin für Soziales, Ingrid Stahmer (SPD), hätten sich über Monate geweigert, den Konflikt überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Hier irrt Herr Neef, oder will Bemühungen einfach nicht wahrhaben, genauso wie er den Kern des Konflikts mit keinem Wort erwähnt: Der Artikel 16 GG, das Recht auf Asyl, ist ein Individualrecht, das heißt jede/r muß selbst einen Antrag auf Asyl stellen. Asylrecht für ganze Gruppen ist eine Fehlinterpretation des Grundrechts, in diesem Fall einmal von der politisch anderen Seite. Die Behörden haben von den Flüchtlingen verlangt, individuell einen Antrag auf Asyl zu stellen oder zumindest zu sagen, wo sie bereits einen Antrag gestellt haben. Dies war von den selbsternannten »Unterstützern« nicht gewollt, wurde gar verhindert.

Dennoch wurde in vielen Gesprächsrunden nach Lösungen gesucht. Sozialsenatorin Stahmer erklärte öffentlich ihre Bereitschaft zum »Runden Tisch«, die Ausländerbeauftragte Barbara John sprach im Namen der Senatorin mit den Flüchtlingen, und nicht zuletzt waren es Mitarbeiter der Sozialverwaltung, die die Unterbringung in Berlin und in Brandenburg organisierten. Vom »Verlust der humanen Orientierung« kann keine Rede sein.

Der Debattenbeitrag endet allerdings an der Stelle, wo die Debatte erst anfängt. Wolfgang Neef meint in Wirklichkeit: Machen wir die Grenzen auf für alle Flüchtlinge, lassen wir sie dorthin ziehen, wo sie wollen, in der Hoffnung irgendwie werde sich schon alles regeln. Dies bedeutet nichts anderes als das Prinzip »Sozialdarwinismus«. Die richtige, weil humane Position ist: Wir versuchen lenkend einzugreifen, die Menschen so gut es eben geht unterzubringen und wahren gleichzeitig die Chance, sie in unsere Gesellschaft zu integrieren, ohne Fremdenhaß zu produzieren. Wolfgang Zügel, Pressestelle

der Senatsverwaltung für Soziales