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Antisemitismus am Ende der Ära Waldheim

Am Sonntag wird in Österreich ein neues Staatsoberhaupt gewählt/ Der rechtsextreme Haider denunziert Robert Jungk, den Kandidaten der Grün-Alternativen, als Nazi-Sympathisanten/ Der Sozialdemokrat Streicher hat die besten Chancen  ■ Wolfgang Purtscheller

Wien (taz) — Alle sechs Jahre wird der österreichische Bundespräsident direkt vom Volk gewählt. Das Staatsoberhaupt darf das Parlament auflösen, ist Oberbefehlshaber des Bundesheers, muß Gesetze mittels Unterschrift bewilligen, kann sich leicht zum Alleinherrscher aufschwingen. Und er hat Österreich mit allen seinen Bürgern und Bürgerinnen zu repräsentieren.

Der derzeitige Amtsinhaber, Kurt Waldheim, tut sich schwer damit. Außer arabischen Potentaten und— unlängst — Helmut Kohl hat niemand mit ihm zu tun haben wollen. Als sich Ex-UN-Generalsekretär Waldheim am Mittwoch zum Geschehen in Bosnien-Herzegowina äußerte, fiel nicht nur Hardcore-Antifas ein, daß der amtierende HBP (=„Herr Bundespräsident“) mit der balkanischen Materie bestens vertraut sein muß. Zu Zeiten von Holocaust und Partisanenkrieg hatte er als Generalstabs-Offizier bei einer für Jugoslawien zuständigen und zu 80 Prozent aus „Ostmärkern“ bestehenden Heeresgruppe „seine Pflicht getan“.

Den diesjährigen Präsidentschafts-Wahlkampf wollten alle vier Parlamentsparteien, von den schmerzhaften 86er Erfahrungen geläutert, ohne Fremdenverkehr (und damit Österreich) schädigende Auswüchse über die Bühne bringen. Fairneßabkommen wurden geschlossen, selbst die „freiwillige Begrenzung der Wahlkampfkosten“ — die per Gesetz „von der Republik Österreich“, also den Steuerzahlern, zu erstatten sind — stellte kein Problem mehr dar. Weil die KandidatInnen österreichische (und deutsche) Geschichte verkörpern, kam unterschwellig dennoch alles wieder hoch. Der SPÖ-Kandidat Rudolf Streicher, Ex-Manager und in seiner Eigenschaft als EG-Ansprüchen nicht eben huldvoll zugetaner Verkehrsminister, ist der Paradekandidat für wirtschaftlich gediegene EG- Integration.

Dröge dümpelte der Wahlkampf vor sich hin

Der konservative ÖVP-Kandidat Thomas Klestil, ein farbloser Karrierediplomat, buhlt im Planschbecken der alpenländischen Politikverdrossenheit um Stimmen.

Die rechtsextreme FPÖ-Kandidatin Heide Schmidt trägt mit ihrem Slogan „Die Zeit spricht für die erste Frau im Staate“ ihrer devoten Unterordnung unter den Parteivorsitzenden Jörg Haider Rechnung.

Der grün-alternative Kandidat Robert Jungk, mit dessen Nominierung die Fundis rund um den allgemein als „trotzkistisch“ verfemten Bundesgeschäftsführer Franz Floss der Realissimo-Seilschaft rund um den Wiener Gemeinderat Peter Pilz gewaltig eins auszuwischen vermochten.

Der Wahlkampf dümpelte dröge vor sich hin. SPÖ-Kandidat Streicher ließ sich im Vorprogramm von angetakelten Austro-Pop-Barden à la Waterloo und Robinson umschmeicheln. Wenn die nimmer konnten, trällerte Dorf-Disco-Idol Bilgeri drauflos. Abgetakelte ORF-Hofnarren waren sich für keinen rassistischen Witz zu schade.

Vergleichsweise niveauvoll ging Klestil die Sache an. Kulturell stets auf Trachtenmusik zurückgeworfen, besann sich ein ehemaliger Klassenkamerad des VP-Kandidaten. Der heißt Josef „Joe“ Zawinul, ist international anerkannter Jazzmusiker und stammt — laut eigener Aussage— traditionell „aus einer tiefroten Familie“.

Nur Grün-Kandidat Robert Jungk vermochte in der Kunst des Name- Dropping zu überzeugen. Er hat internationale UnterstützerInnen wie Carl Amery, Senta Berger, Fritjof Capra, Dieter Hildebrandt, Petra Kelly, Alexander Langer, Marie Marcks, Eva Maties, Reinhard Mey, Inge Meysel, Wolfgang Niedecken, Peggy Parnass und Dietmar Schönherr. Bloß die meisten von ihnen sind in Österreich nicht wahlberechtigt.

Haider rückt Robert Jungk in Nazi-Nähe

In puncto internationale Promi-Unterschriften mußte die national gesonnene FP-Vorzeigefrau Schmidt von vorneherein passen.

Richtigen Schwung kriegte der Wahlkampf erst, als sich Jörg Haider selbst wichtig machte. Dem FPÖ- Fraktionsführer, -vorsitzenden und „Altparteien-Schreck“, den in- und ausländische Kommentatoren irgendwo zwischen „Rechtspopulismus“, „Mini-Le Pen“ und „Yuppie- Faschismus“ eingeordnet hatten, stießen in einer seiner seltenen Stunden der Muße und Besinnung gezählte acht Jungk-Worte aus einem 'Weltwoche‘-Artikel vom Januar 1942 unliebsam auf: „Die volksbiologisch sehr fortschrittliche Regierung des Dritten Reiches.“ Daraus machte Haider in der sonntäglichen ORF-Pressestunde die Anschuldigung, ausgerechnet der jüdische Antifaschist Jungk habe eine „Jubelbroschüre für das Dritte Reich“ verfaßt. Jungk klagte gegen Haider. Daß ein jüdischer Emigrant und Antifaschist, der in der Schweiz sogar interniert worden war, ein „NS-Lobhudler“ gewesen sein soll, wollten nicht einmal Streicher und Klestil akzeptieren. In gesetzten Worten distanzierten sie sich von Haider. Heide Schmidt wollte — wieder einmal — von allem nichts gewußt haben. Aber als „überzogen“ empfand sie die Haider-Aussage auch. Per einstweiliger Verfügung des Landgerichtes Klagenfurt ist Jörg Haider verpflichtet, einen Widerruf im OFR-Hauptabendprogramm zu verlesen, zum Inseratentarif von 1 Mark pro Sendesekunde.

Am 22. April wurde auch dem Massenblatt 'Neue Kronen Zeitung‘ und seinem notorisch rechten Star- Kolumnisten Staberl per Gerichtsbeschluß untersagt, Robert Jungk in Nazi-Nähe zu rücken. Richtig ausjudiziert wird die Affäre in zwei, drei Jahren werden. Lange nach den Präsidentschaftswahlen.

Wahlempfehlung der FPÖ für die Konservativen?

Robert Jungk, von Haider medienwirksam als Jude und Drückeberger angeschwärzt, kann laut Umfragen mit höchstens sieben Prozent der Stimmen rechnen. Haiders „liberale“ Vorzeigefrau Heide Schmidt mit 15, Klestil mit 29 und Streicher mit 37 Prozent. Spannend wird die Affäre, wenn Haider im zweiten Wahlgang eine Wahlempfehlung für den konservativen Kandidaten Klestil abgibt. Sollte Klestil Präsident werden, könnte die rot-schwarze Koalition platzen und Robert Jungk— moralisch — triumphieren. Weil dieser im Jahr 1986 zum „militanten Widerstand“ aufgerufen hatte, will ihn nun Haider verklagen.

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