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Schalck wollte auspacken

■ Gegen Ende der DDR drohte Schalck seinem Geheimdienst damit, vor der Volkskammer auszupacken

Bonn (taz) — Krisenstimmung überschattete die Sitzung: Generalleutnant Möller, Leiter der Hauptabteilung Kader und Schulung der Stasi-Nachfolgeanstalt „Amt für Nationale Sicherheit“ (ANS) hatte am 27.November 1989 zwei Topleute zu sich zitiert: den Genossen Oberst Schalck-Golodkowski, damals Chef des Untergrundfirmennetzes „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo), und dessen Stellvertreter, den Genossen Oberst Seidel. Förmlicher Anlaß der hektisch anberaumten „Kaderaussprache“: die von ANS-Chef Generalleutnant Schwanitz angekündigte Entlassung aller im Schalck-Bereich tätigen „Offiziere im besonderen Einsatz“ (OibE) des MfS und deren finanzielle Abfindung. Zwei Sorten OibEs, so klärte KoKo-Dirigent Schalck auf, seien in seinem Bereich aktiv: Neun, darunter seine Ehefrau Sigrid, würden vom MfS voll bezahlt, zehn weitere, unter ihnen er selbst und sein Vize Seidel, erhielten Ausgleichszahlungen des MfS neben ihrem offiziellen Gehalt als Außenhändler.

Der „Aussprachevermerk“ dieser Geheimsitzung, der jetzt in Stasi-Akten aufgetaucht ist, liefert weitere Beweise für die von Schalck-Golodkowski bis heute geleugnete enge Verzahnung zwischen KoKo und Stasi. In jener Krisensitzung sprach Schalck Klartext: „Fakt ist für ihn“, notierte der Protokollant, „daß westliche Behörden und Regierungsstellen als auch Geheimdienste wissen, daß alle durch den Bereich KK (gemeint ist KoKo, d.Red.) abgeschlossenen Geschäfte usw. nur mit Billigung des früheren MfS (...) geschahen und geschehen. Von anderen Prämissen auszugehen, hieße Illusionen nachzuhängen.“ Die Konsequenz: Wenn er vor einen Untersuchungsausschuß der Volkskammer zitiert würde, so soll Schalck erklärt haben, „kann er die Verbindung zum MfS kaum leugnen. Sollte er in der Volkskammer befragt werden, müsse — auch in seinem Interesse — mit exakten Antworten gerechnet werden“.

Schalck scheint unverhohlen mit seinen „Detailkenntnissen“ aus dem Innern der Krake gedroht zu haben: Etwa über seine „Sonderbeschaffungen“ für Erich Mielke und dessen Ex-Spionagechef Markus Wolf. Sollte bei ihm eine Hausdurchsuchung stattfinden, so Schalcks deutlicher Wink, „dann würde er auch die Gehaltsbescheide des MfS, die er sorgfältig aufbewahrt habe, vorlegen“. Abschließend hält der Vermerk fest: „Insgesamt entstand in diesem Gespräch der Eindruck, daß O. Sch. (Oberst Schalck, d. Red.) hinsichtlich seiner Verbindung zum MfS, seiner Vergütung zum MfS als auch zu ,Detailkenntnissen‘ auspacken werde.“

Trotz allem mochte sich „Big Alex“ in Ostberlin bald nicht mehr auf die Lebensversicherung seiner „Detailkenntnisse“ verlassen: Eine Woche nach dem geschilderten Geheimtreffen flüchtete er in den Westen. Während er seinen Oberen damals damit drohte, vor der Volkskammer auszupacken, belügt er bis heute den Bundestag: Seine KoKo sei nie der Stasi unterstellt, seine Ernennung zum OibE eine Formalität ohne Bedeutung gewesen, erklärte er letzten Herbst dem Schalck-Untersuchungsausschuß. Bleibt die Frage: Wen deckt Schalck heute? Thomas Scheuer

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