Hundert fürstliche Leichen zu besuchen

■ Beisetzungsstätte der Hohenzollern unterm Dom ab 1994 für die Öffentlichkeit zugänglich/ Das Grundwasser hat viele Sargböden angegriffen/ Die Gruft könnte als Touristenattraktion das nötige Geld für die Restaurierung einbringen

Berlin. Die größte Beisetzungsstätte der Hohenzollern ist die Krypta unter dem Berliner Dom am Lustgarten Unter den Linden. Rund 100 fürstliche Särge dokumentieren dort die ein halbes Jahrtausend währende Herrschaft des Adelsgeschlechts in Brandenburg/Preußen. [Wer zählt die Fürsten, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen! d. säzzer]

Das von 78 Sandsteinsäulen getragene Grabgewölbe, das stets der größeren Öffentlichkeit verschlossen geblieben war, soll von Mitte 1994 an ersmals zu besichtigen sein. Berlin stünde dann nicht mehr hinter Wien zurück, wo die Grabstätten der Habsburger in der Kapuzinergruft längst zum Ziel von Millionen Touristen wurden.

Eisengitter werden die Särge schützen, damit sich Andenkenjäger nicht an dem reichen Zierat vergreifen, einen Reichsapfel oder eine ganze Krone einfach verschwinden lassen. »Wir lernen von den Wienern«, sagt Rüdiger Hoth, als Dombeauftragter der Evangelischen Kirchen seit 1975 mit dem Wiederaufbau des Doms im Ostteil der Stadt befaßt. Der Zugang liegt auf der Spreeseite, wo besonders Ungeduldige durch die verstaubten Fenster schon mal einen Blick in die Gruft erhaschen. [Angeschimmelte Leichen begucken! Igitt! d. säzzer] Anders als der 1905 eingeweihte und im Krieg beschädigte wilhelminische Prachtdom selbst blieb die Krypta heil.

Der Zahn der Zeit hinterließ jedoch tiefe Spuren an Sarkophargen und Epitaphien. Alle 100 Särge müssen bearbeitet werden. Vor allem Grundwasser hat viele Sargböden angegriffen. Fachleute glauben, es könne durchaus ein Jahrzehnt dauern, alle Schäden zu beseitigen. So lange will jedoch niemand warten. Die Gruft als Touristenattraktion würde auch für die Restaurierung dringend benötigtes Geld in die Kassen bringen.

Die wertvollsten Sarkopharge ziehen um

Die ganz und gar vergoldeten barocken Särge Friedrichs I. (1657—1713) und seiner zweiten Frau Sophie Charlotte gehörten zum Wertvollsten, was der Dom besitzt, meinen Kunsthistoriker. Nach den Entwürfen des Bildhauers und Baumeisters Andreas Schlüter (1660—1714) führte Johann Jacobi die Grabmonumente aus. Reliefs erzählen vom Leben und von den Taten des Herrschers, der sich 1701 in Königsberg eigenhändig zum ersten preußischen König krönte.

Die beiden Prunksarkopharge, die jeder 3,5 Tonnen wiegen, sowie das um 1530 fertiggestellte älteste Grabdenkmal für den von 1486 bis 1499 regierenden Kurfürsten Johann Cicero ziehen allerdings um und werden in der Predigtkirche des Domes aufgestellt ebenso wie die Prunksärge des Großen Kurfürsten und seiner zweiten Frau. Wenn nach mehrmaligen Verzögerungen der überkuppelte Kirchenraum im Juni 1993 fertig werde, »dann stürzen wir uns voll auf die Gruft«, sagt Hoth. [Wie? Voll = trunken? d. säzzer]

Die Gräberbesichtigung beginnt an den Ruhestätten der Kurfürsten Johann Georg (1571—1598), Joachim Friedrich (1598—1608) und Johann Sigismund (1608—1619). Ihnen gegenüber liegt der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm (1640—1688) mit seinen beiden Frauen Luisa von Nassau-Oranien und Dorothea von Holstein-Glücksburg. Zu ewiger Einsamkeit versammt ist Elisabeth Christine, Frau Friedrich II. Er selbst fand erst 1991, über 200 Jahre nach seinem Tode, in dem von ihm bestimmten Grab im Park von Sanssouci seine letzte Ruhe. Für den mit ihm gleichzeitig auch Hechingen nach Potsdam heimgekehrten, 1740 gestorbenen »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm I. wird in Berlin noch ein Platz freigehalten, weil in der Domkrypta seine Frau Sophie Dorothea und sechs Kinder auf ihn warten. [Den Satz bitte dreimal hintereinander lesen. Der Lachkrampf folgt auf dem Fuße! d. säzzer]

Vielleicht ziert die Gruft später sogar ein Kaisergrab. Eine »Familienzusammenführung«, wie Hoth sagt, schließe man im Fall von Kaiser Wilhelm II. nicht aus. Als Dombauherr wollte der letzte deutsche Kaiser auch dort begraben sein. Die Geschichte änderte seine Pläne: Nach der Abdankung ging er ins niederländische Exil und starb 1941 in Doorn. Die Nationalsozialisten verweigerten seine Beisetzung in Deutschland. Eine Umbettung seiner beiden Frauen, der Kaiserinnen Auguste Viktoria und Hermine, aus dem Antikentempel in Potsdam in die Domgruft ist mit dem Chef des Hauses Hohenzollern, Prinz Louis Ferdinand, bereits abgesprochen. Von den deutschen Hohenzollern-Kaisern erinnert an den im Jahre 1888 nur 99 Tage regierenden Friedrich III. im Dom zwar ein von dem Neubarock- Bildhauer Reinhold Begas geschaffener Marmor-Epitaph, beigesetzt ist er jedoch ebenfalls in Potsdam. Irma Weinreich/dpa