■ Lokaltermin
: Viele Hektoliter Sperma

Viele Hektoliter Sperma

Beim Wort »Dark Room« denkt der gewöhnliche Heterosexuelle an ein Hilfsmittel bei der Fotografie. Ganz anders der schwule Mitbürger: Klemmtrinen, Tunten und Lederkerle gleichermaßen verstehen unter einem Darkroom die abgedunkelten Kellerräume einer Schankwirtschaft — was nicht heißt, daß sich auch dort einiges entwickeln kann.

Im Darkroom von Toms Bar geben sich seit zehn Jahren schwule Männer dem Geschlechtsverkehr hin. Einst richtige Lederbar, in der ausschließlich Schnauz- und Jeanstypen verkehrten, avancierte das zweigeschossige Lokal im Laufe der Zeit zur letzten Zufluchtstätte für alle erfolglosen Streifzügler durch den Sub. Da viele Gäste allerdings bloß noch ihre oral-genitalen (statt ihre oral-alkoholischen) Bedürfnisse befriedigen, wird als Eintritt neuerdings der Kauf von Getränkebons verlangt. Doch selbst, wenn die Begierde noch so groß ist, marschiert im Toms niemand schnurstracks in den Keller. Erst positioniert man sich cool an einem der Holzfässer, raucht gemächlich eine Lucky Strike und ordert ein Flens, das man möglichst männlich aufploppt. Dann taxiert man abwechselnd die anderen Gäste und das Treiben auf der Pornokinowand. Wenn man so weit angeheizt ist, daß man es nicht mehr aushält, schreitet man langsam in Richtung Darkroom. Natürlich tut man dabei so, als ob man mal auf Toilette gehen oder Zigaretten holen muß.

Im Keller stellt man sich möglichst krampfhaft locker hin, den Daumen am Hosenbund, so daß die Beule im Schritt ein bißchen größer wirkt. Ein Blick hier, ein Streif dort, wer neu im Darkroom ist und die Spielregeln nicht kennt, wird einfach überrumpelt. Überhaupt die vielen jungen Berlin-Touristen: Oben erzählen sie einem, daß sie anonymen Sex überhaupt nicht nötig hätten — und schon am nächsten Tag kommen sie nicht vor Morgengrauen aus dem Darkroom heraus. Mit genügend Promille im Blut lassen sich schließlich dickere Speckröllchen am Wanst eines Liebhabers ertragen.

Wieviele Hektoliter Sperma mögen wohl seit 1982 im Darkroom von Toms Bar geflossen sein? Früher noch in offene Münder und Popos, in Zeiten von Aids mehr in Gummis und auf den Boden (beziehungsweise bei Anfängern auf das T-Shirt). Da schätzungsweise jedoch eh die meisten Gäste positiv sind, greifen viele wieder auf das Altbewährte zurück. Der Darkroom ist schließlich der letzte Ort in Berlin, wo noch der Sozialismus herrscht. Wo sonst grabscht der Stützeempfänger nach dem Bankbeamten, bläst der Professor seinen Studenten, läßt sich der Unternehmer von dem Arbeitnehmer penetrieren?

Im Darkroom fallen sämtliche Klassenschranken. Was interessiert, ist allein der Schwanz und — wenn's (nicht) hoch kommt — die Figur.

Toms Bar, Motzstraße 19/ Ecke Eisenacher Straße, ab 22 Uhr