»Geld ist da, wo die Wirtschaft ist«

■ Berliner Verleger diskutierten in der Buchhandlung »Fnac« über Kultur und Kommerz

Ein Experiment mit fünf »Ks«. »Korrespondenz — Kontroversen. Kultur, Kommunikation, Kommerz im Neuen Berlin« verspricht der ehrgeizig alliterierende Titel den ZuschauerInnen im holzgetäfelten Saal der Buchhandlung »Fnac« zur Abendstund'. Die geladenen Gäste sind West- und Ostberliner Verleger: Elmar Faber (Aufbau-Verlag Leibzig), feine, gestrenge Miene, Propyläen-Fetischist; Christoph Links, gleichnamiger Verlag (ehedem Linksdruck), einziger Jeans-Träger der Runde, enfant terrible; Klaus Müller Crepon (Ullstein/Springer), Jahrgang 29, Wort zum Sonntag; Horst Wandrey, klare, helle Stimme, Henschel- (Kunstbuch)verlag, auf der Suche nach neuen Marktlücken; Thomas Wölk (Argon-Verlag/Tagesspiegel), gutgelaunter Spitzbube, Wider die Vereinigung!, liest Großfeuilletonisten zwecks Belustigung.

Das sind sie also, jene, »die nicht gestorben sind«, wie es der moderierende Kommunikationsprofessor Klaus Siebenhaar in seiner Eingangsgeschichte vom Berliner Verlegersterben im Wandel der Epochen (schwarz, braun, rot, gold) zu kolportieren weiß. Ruckzuck sind die Fakten auf dem Tisch: 1990/91 gab es in Ostberlin 80 Verlage, 30 unter der Kontrolle der Treuhand (11 Zeitungsverlage), 10 aus dem Sondervermögen der PDS konfisziert. Bis zum Oktober 91 werden 14 Verlage an westdeutsche Interessenten verkauft. Der Leipziger Renommierverlag Aufbau entläßt von seinen 184 MitarbeiterInnen 144, verabschiedet sich von der Sparte Literaturwissenschaft und nimmt Auflagenverluste von neun Millionen Exemplaren hin. Neuer Anteilshaber: der Immobilienmillionär und Ex-Linke Bernd Lunkewitz aus Frankfurt. Der Theater-, Film-, Musiktheaterverlag Henschel läßt sich derweil von der PDS „anschubfinanzieren“, wurschtelt mit 34 Leuten weiter und wird demnächst, so die Treuhand will, meistbietend verkauft. Linksdruck kommt sich spanisch vor, mißtraut dem verfänglichen Namen und nennt sich fortan Christoph-Links- Verlag — die Auflage verdoppelt sich prompt. Gesamtumsatz der Ostbranche: 500 Millionen Mark Umsatz.

Auch in Westberlin bleiben die Umsätze weit hinter dem zurück, »was die Hundefutterindustrie« (Links) erzielt. Ullstein rückt von der Belletristik ab und verleibt sich zwei ostdeutsche Sachbuchverlage ein. Einzig Thomas Wölk vom Argon- Verlag profitiert mit Hans Georg Maazens Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR. von der Wende. Er hat die politische Konfrontation, die Offensive gewählt. Auch Das gestürzte Volk verkauft sich blendend.

Zahlen, Fakten, Daten, Erfolgskurven und -bilanzen erfahren die »Fnac«-BesucherInnen, Hartgekochtes, Festgestanztes. Die verlegerische Familienbande interessiert sich nicht für ihr Publikum. Sie runzelt gemeinsam die Stirne, wie Berlin denn zu der Verlegerhauptstadt Deutschlands zu verhelfen sei. Müller-Crepon vom »alten, weil so stabilen« Ullstein-Verlag findet dann die für alle erlösende, weil totsichere Argumentationskette: »Ich würde sagen... Geld ist da, wo die Wirtschaft ist. Wirtschaft ist da, wo die Macht ist. Die Macht ist da, wo die Politik ist.« Das Publikum lacht verlegen. Christoph Links macht sich das Unbehagen einiger Wohlbebrillter, Wohlgekleideter zu eigen und poltert los: »Wenn es nur ums Geld geht, wären wir besser Immobilienmakler geworden! Es geht doch um die Inhalte, die Bücher sollen doch gelesen werden!« Nein, nein, findet Müller-Crepon, das verlegerische Kriterium sei immer noch das verkaufte Buch. Basta. Und darin sind ja die Deutschen, wie ein Londoner Analyseinstitut jüngst beschied, die eifrigsten der EuropäerInnen. Also zanken sie ein bißchen, die geladenen Verleger, warten artig, bis der smarte Fnac-Moderator Doktor Matti Schüsseler seine ach-so-kurzen Fragen selbst beantwortet hat, reiben sich die Bäuche und träumen vom Weißwein im »Froquet« gegenüber. Um 20 Uhr 40 geht automatisch das Sicherungsgitter herunter. Das Experiment mit den fünf »Ks« ist den fünf »Vs« geglückt, so manche ZuschauerIn an Langweile eines gewaltsamen Todes gestorben. Mirjam Schaub