Dosierte Hoffnung

■ Taboris »Mein Kampf« in Potsdam

Lachen über Hitler — darf man das? Jüdisches Witzeln über den Endlöser — geht das überhaupt? Tabori, dieser »Bühnenarbeiter«, wie er sich gern nennt, hat seine Theater- und Lebenserfahrung zu einer Farce gebündelt, in der nichts als gebrochene Wirklichkeit vorkommt: ein gewaltig schreiendes Kleinkind namens Hitler, ein etwas scheinheiliger Theatergott, ein gar nicht so unschuldiges deutsches Gretchen, eine unheimlich-dreiste Frau Tod, ein makabrer Alptraum vom Judenpogrom und ein gerüttelt Maß an Sentimentalität in der Rolle des seit 2.000 Jahren mit einem lachenden und einem weinenden Auge lebenden Juden.

Hätte Hitler nicht Hitler geheißen, sondern Shitler, viel geändert hätte es wohl kaum. Am historischen Schicksal ändern kann auch das Theater nichts — immerhin kann es erstaunlich schnell beweisen, daß der bellende Arier jüdische Urahnen hatte und eigentlich Schüttler heißen müßte. Der Urahn hieß Ben, genannt der Schüttler, beauftragt seinerzeit, sich um den Unrat der Stadt zu kümmern. Bürokratische Fehler, der Siebenjährige Krieg, zahlreiche Pogrome und zwei Heller haben daraus den Namen Hitler gemacht. So beweist Tabori in atemberaubender Schnelligkeit und mit Hilfe leidvoller Eckdaten jüdischer Geschichte eine verhängnisvolle Abhängigkeit, die dem Gebot »Du sollst auch deine Feinde lieben« das äußerste an Zumutbarkeit abringt.

Schlomo — nicht irgendein Jude, sondern der Jude, Theaterjude schlechthin — schüttet seine biblisch gestützte Güte mit mütterlichem Masochismus über Hitler aus, seinem Bettnachbarn in »Frau Merschmeiers Männerheim unter der Metzgerei«, wo ihm unter der sorgenden Hand des Juden das markante Bärtchen zuteil wird und er den Tip bekommt, sich nicht der Kunst, sondern der Politik zu verschreiben: Hitler — als hilfloses Männchen, das dem Lachen preisgegeben ist und dem Judentum erbarmenswert am Rockzipfel hängt.

Im Hans-Otto-Theater Potsdam ist — leider nur noch heute — die Inszenierung von Guido Huonder zu Gast, die der jetzige Potsdamer Intendant schon 1987 am Theater Dortmund in Szene setzte. Auf der Potsdamer Probebühne ersteht für drei Stunden eine Theaterwelt, die sich dem vergeblichen Flehen um Versöhnung kompromißlos stellt und im vermaledeiten Scheitern leise Zeichen und kleine Dosen uneingeschränkter Hoffnung bewahrt — ein Theaterabend, der die leeren Stuhlreihen nicht verdient hat, der Besuch lohnt schon allein wegen des Darstellers der Judenrolle. Claus-Dieter Clausnitzer spielt den Schlomo mit herzzereißender Menschlichkeit, er erzählt sich und uns das Leben zurecht, erzählt es gegen die schlechten Umstände an, erzählt listig und widerborstig das Blaue vom Himmel herunter und das Schwarze aus der Hölle herauf: In jeder noch so offensichtlichen Lüge aber schwingt immer ein wenig utopische Hoffnung mit, die — wie oft sie verletzt wird — vor Kraft birst.

Für die Berliner mag die hofierte Inszenierung von Thomas Langhoff im Maxim-Gorki-Theater zum Inbegriff geworden sein — in der Dortmunder Fassung lebt ein ganz anderer Geist. Vieles gerät hier ungeschlacht, ruppig, derb und ausgestellt, Langhoffs nette Kosumierbarkeit wird hier gründlich torpediert, Satire und Sentimentalität, schwarzer Humor und zarte Rührung geraten in unversöhnliche Nachbarschaft.

Doch die Sanftheit des Hauptdarstellers fängt alle Stöße auf, eben noch rupfte ein Theater-Himmler mit Genuß und Zähigkeit das Huhn Mizzi entzwei und erinnerte mit Koch-Anleitungen — aufs ekligste — an die faschistische Reduktion alles Lebens aufs bloße, tote Fleisch — schon klagt der jüdische Choral, und der Abend schließt mit einem beeindruckenden Bild aus Widerstand und Ohnmacht: Schlomo zieht in klagender Bedächtigkeit die gebratenen Fleischstücke aus der Pfanne und wäscht das nackte, vergewaltigte Fleisch von der faschistischen Strapaze frei.

Noch lange sitzt er, verwundet und leise weinend, da, bis am Ende in die Realität zurückgefunden werden muß und er den Kannibalismus der Menschheitsgeschichte selbst vollendet: das Huhn Mizzi wird nun auch von ihm gegessen. baal

Heute 19.30, Zimmerstraße 10, Potsdam